Mein argentinischer Maerchenprinz
näher, und sein Zorn wich einer ganzen Flut anderer Gefühle.
Emotionen, die er nicht fühlen wollte. Urtümliche Triebe, die seinen Glauben an Disziplin und Selbstkontrolle zu verhöhnen schienen.
Beinahe hätte Raul laut aufgelacht. Die Schwäche eines jeden Mannes war eine Frau.
Und die für ihn bestimmte Frau lag hier vor ihm, in diesem Bett.
Wenn es um Geschäfte ging, konnte er jede noch so problematische Verhandlung führen, ohne die Nerven zu verlieren, aber hier, mit ihr in einem Raum, brodelten seine Gefühle auf wie ein Hexenkessel und vernebelten all seine Gedanken.
„Faith.“ Seine kräftige Stimme hallte in dem kleinen Raum, und als Faith den Kopf zu ihm drehte, weiteten sich ihre grünen Augen in ungläubigem Schrecken.
„Nein!“, rief sie beinahe entsetzt aus. Das traf ihn wie ein Schlag in den Magen, noch viel schlimmer aber war der Anblick der Prellungen in ihrem Gesicht und an ihren Schultern.
„Was ist dir passiert?“ Zwei Wochen zuvor hatte auf ihren Lippen immer ein glückliches Lächeln gelegen. Das blonde Haar war in weichen Wellen über ihren Rücken gefallen. Jetzt war es kurz und unregelmäßig geschnitten, was ihre Augen viel größer und ihr Gesicht blass und verletzlich wirken ließ. Von ihrem frechen, neckenden Lächeln war keine Spur mehr zu sehen.
Er sah sofort, dass sie abgenommen hatte. Schlank und zierlich war sie schon immer gewesen, doch jetzt war sie unnatürlich dünn. Durch das kurz geschorene Haar wirkte ihr Gesicht beinahe entrückt.
Der Arzt räusperte sich. „Wir mussten ihr die Haare abschneiden, um die Verletzung behandeln zu können.“
„ Dios mío , sie ist nur noch Haut und Knochen.“ Von unerwarteten Gefühlen überwältigt, richtete Raul seine ganze Wut gegen den Arzt. „Kriegen Ihre Patienten hier nichts zu essen?“
An derartig offene Angriffe nicht gewöhnt, fummelte der Arzt nervös an der Akte herum. „Faith hatte eine schwere Kopfverletzung“, rechtfertigte er sich. „Sie war eine Weile bewusstlos. Dafür hat sie sich wirklich bemerkenswert schnell erholt. Wir haben ihr das Leben gerettet.“
„Gut“, sagte Raul kalt. „Andernfalls wären Sie auch die längste Zeit Arzt gewesen. Woher hat sie diese Verletzungen?“
In der Hoffnung, die Situation etwas zu entschärfen, trat die Krankenschwester rasch vor. „Laut Zeugenaussage ist sie am Flughafen vor ein Auto gelaufen. Sie hat wohl nicht auf die Straße gesehen.“
Langsam ging Raul zum Bett hinüber. Als Faith ihm den Rücken zudrehte und sich unter die Decke verkroch, presste er die Lippen fest aufeinander. Diese simple Geste bedurfte keiner weiteren Worte, und plötzlich ergriff ihn ein ungewohntes Schuldgefühl, das er jedoch nur einen winzigen Augenblick zuließ. Für ihn gab es keinen Grund, sich schuldig zu fühlen.
Sie hatte ihnen beiden das angetan.
Er war von Anfang an offen und ehrlich gewesen. Sie hatte beschlossen, diese hinterhältigen Spielchen zu spielen. Und es wurde Zeit, dass sie das endlich zugab. „Sieh mich an!“
Als sie sich nicht bewegte, seufzte Raul gereizt. „Es bringt nichts, vor seinen Problemen wegzulaufen. Hast du auch nur eine Ahnung, was für Sorgen ich mir gemacht habe? “
Seit zwei Wochen brannte der Zorn unaufhörlich in ihm, und er hatte sich geschworen, wenn er Faith endlich fände, sie über seine Gefühle ganz bestimmt nicht im Dunklen zu lassen.
Zuerst dachte er, sie würde ihm gar nicht antworten, dann jedoch regte sie sich und setzte sich langsam im Bett auf. Sämtliche Worte blieben ihm im Halse stecken.
So erschreckend zerbrechlich wirkte sie, dass er es nicht fertigbrachte, seine Wut an ihr auszulassen.
Stark und kraftvoll hatte er sie in Erinnerung. Jetzt schien nichts mehr von ihrer Energie übrig zu sein.
Die Träger des Krankenhaushemdchens hingen formlos von ihren schmalen Schultern, unter ihren Augen lagen dunkle Schatten, und ihre Arme waren mit Schrammen übersät.
Sie vermied es, ihn anzusehen, starrte nur vor sich hin. Das sonst so lebhafte Funkeln ihrer grünen Augen war gänzlich erloschen.
Sie wirkte wie eine gebrochene Frau.
Abgesehen von dem einen schmerzerfüllten Wort ‚Nein!‘ hatte sie bisher weder etwas gesagt, noch hatte sie ihn angesehen, seit er den Raum betreten hatte. Sie tat, als wäre er gar nicht da.
Bei dem Gedanken an das, was sie zerstört hatte, stieg seine Anspannung erneut. Tat es ihr leid? Bedauerte sie, dass sie ihr Verhältnis zueinander ruiniert hatte?
In brütendem Schweigen
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