mein buch vom leben und sterben (German Edition)
verlierst. mein sinn für humor hat mir über diese wirklich schweren zeiten oftmals hinweggeholfen.
ich habe die skurrilsten und auch lustigsten momente meines lebens mit meinen eltern in jeweils jenen drei monaten erlebt, in denen sie starben.
mein vater beispielsweise wollte sich, als er zum schluss auch morphium bekam, einfach nicht mehr helfen lassen. er war aggressiv, und niemand von uns konnte etwas richtig machen.
als ich sein krankenbett einmal in eine andere stellung bringen wollte, ging es ihm nicht gut oder schnell genug, und er beschloss, dies einfürallemal selbst in die hand zu nehmen.
bei meinem versuch riss er mir das bedienteil aus den händen und drückte zunächst einmal die »nach oben«-taste. daraufhin bewegte sich das komplette bett ratternd gen zimmerdecke. ich sah einfach nur zu und brachte ab und an lediglich ein »papa, meinst du nicht, das ist zu hoch?« heraus. ich war mir auch überhaupt nicht bewusst, wie hoch man mit diesen dingern fahren kann. mein vater saß nun quasi direkt unter der decke.
als nächstes bediente er dann das rückenteil. »hoch«. und wieder dieses geratter, das ich niemals vergessen werde. die rückenlehne bewegte sich nun also aus der waagerechten langsam aber stetig in die senkrechte, womit mein vater nunmehr also im 90-grad-winkel unter der zimmerdecke saß.
zu guter letzt kam dann das fußteil dran. »hoch«! das geratter begann abermals.
als er dann letztendlich in einer v-stellung angekommen war, verschwand auf einmal meine hilflosigkeit, und ich begann einfach nur zu lachen.
mein vater blickte böse zu mir hinunter, und ich sagte nur, immer noch schallend lachend:
»ach papa, das kann doch nicht bequem sein!? aber es sieht sehr lustig aus. wenn du so bleiben willst, dann mach, bleib so!!«
ich weiß nicht, ob er dann realisierte, was geschehen war, aber wie auch immer, wurde er auf einmal ganz sanft, reichte mir das bedienteil, und ich fuhr ihn ganz langsam wieder hinunter. ich stellte eine bequeme stellung des bettes ein, und mein vater schlief danach ruhig für mehrere stunden. ich ging in die küche und heulte. hätte ich damals schon meine freundin und vermieterin margret gekannt, so wäre genau dies ein »perfect manhattan-moment« gewesen.
dieses emotionale auf und ab ist sehr kräftezehrend, und ich bin wirklich froh über diese lustigen momente, und vor allem auch darüber, dass ich mir die freiheit genommen habe, dann wirklich auch zu lachen.
auch schön war, als ich am bett meiner mutter saß und ihr den eimer hielt, weil sie sich übergeben musste. sie würgte, und es war kein leichter moment für mich. das krankenbett meiner mutter stand an exakt derselben stelle, an der mein vater damals seine hoch-und-runterfahrt-aktion vorgenommen
hatte. unsere wohnung befand sich im erdgeschoss, und direkt entlang des fensters verlief eine kleine privatstraße, auf der unsere nachbarn zu ihrem haus gelangten. das fenster war halb geöffnet an jenem tag und ich dachte noch, ob ich es vielleicht lieber schließen sollte, damit nicht jeder mitbekam, wie schlecht es meiner mutter ging. ihr husten und röcheln ließ schon das schlimmste befürchten.
mutter allerdings bestand darauf, dass das fenster geöffnet blieb, und so war es dann auch.
es war ungefähr zwei tage vor ihrem tod. ich hielt sie fest, und sie musste wieder würgen, obwohl sie so gut sie nur konnte versuchte, ihre übelkeit zu überwinden. ihr würgen dauerte minutenlang an und wurde nur dadurch unterbrochen, dass meine mutter mir signalisierte, ich solle den eimer anders, bzw. besser und vor allem richtiger halten.
und dann auf einmal hielt meine mutter inne. sie wurde ganz still, schaute hoch, drehte ihren kopf in richtung des fensters. es sah so aus, als würde sie sich auf etwas konzentrieren.
als würde sie, ja, als würde sie hellhörig werden und lauschen.
auch ich wandte mich daraufhin in richtung fenster und bemerkte erst dann, dass sich aus der ferne zwei nachbarinnen von uns näherten, um an unserem fenster vorbei zu ihrem haus zu kommen. die beiden unterhielten sich. es ging um eine bekannte meiner mutter. »ja und die petra steht jetzt ganz alleine da, der gert ist mit der ulla nach hamburg gezogen, von einem tag auf den anderen.«
das waren die worte, die ich mitbekam, als sie an unserem zimmer vorbeigingen. meine mutter schien noch eine halbe minute länger den beiden folgen zu können.
als die beiden frauen wirklich
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