mein buch vom leben und sterben (German Edition)
drei tage, bevor er starb, begegnete. ich hatte gerade wäsche aus dem benachbarten krankenhaus, die dort immer zur reinigung gebracht wurde, abgeholt und legte diese im wohnzimmer ab. eine der schwestern begrüßte mich und sagte: »ach gut, dass du da bist! ich müsste für zehn minuten in den keller. vielleicht kannst du ja mal herrn jalinek fragen, ob er etwas trinken möchte. es ist alles ruhig und bei jeglicher art von notfall, schrei einfach.«
ich hatte herrn jalinek bisher nur zweimal kurz gesehen und freute mich darauf, nun ein paar minuten mit ihm gemeinsam verbringen zu können. so unterschiedlich unsere lebenswege auch waren, nun hatten sie uns zusammengeführt. ich fand die gespräche mit den hospizbewohnern immer sehr spannend. viele freuten sich, über ihre kindheit und jugend erzählen zu können. über ihre erste liebe, über die kriegstage, über ihre träume und hoffnungen. das sind geschichten und zeugnisse vergangener tage, die ich bis heute sehr dankbar in mir trage. denn eines tages werde ich vielleicht das glück haben, einem jungen mann, einer jungen frau auf meinem sterbebett davon
zu erzählen, wie ich mein erstes buch schrieb, oder karneval als »danger dada« verkleidet war oder wie ich es liebte, allein nachts durch köln zu laufen.
ich betrat also herrn jalineks zimmer und sagte: »herr jalinek, hallo! können sie sich noch an mich erinnern? ich war schon gestern einmal hier.« er blickte auf und begrüßte mich herzlich. er war sehr schwach, zu sprechen fiel ihm schwer, nahrung aufnehmen konnte er nur noch in flüssiger form. es gab sehr wenig, womit man ihm eine freude hätte bereiten können. das bett aufschütteln, einen nassen waschlappen auf die stirn legen und die lippen mit wasser befeuchten. das war auch schon fast alles. so fragte ich ihn einfach: »herr jalinek, kann ich ihnen irgendetwas gutes tun? möchten sie etwas trinken oder einen feuchten waschlappen auf die stirn vielleicht?«
er blickte mich an und sagte: »ja.« ich wiederholte meine frage kurz: »etwas wasser?«
er verzog ein wenig das gesicht und erwiderte: »nein, eincremen bitte.«
»aber gerne!« entgegnete ich. »wo denn? an den schultern, oder die hände?«
»nein« sagte er recht klar, »da unten am penis, das juckt so.«
»okay,« dachte ich nur. »wie kommste jetzt nur aus dieser nummer raus?«
»öhm herr jalinek, die schwester ist gleich wieder da.«
»aber es juckt so« – »öhm ... okay ... außerdem weiß ich gar nicht, wo die creme ist.«
herr Jalinek hob die rechte hand und zeigte auf das fensterbrett: »da, am fenster ...«
ich schaute zum fenster, und dort stand sie tatsächlich. gerade, als ich auf dem weg in den hausflur war, um »notfall« zu schreien, verzerrte er wieder schmerzlich das gesicht.
also hielt ich an und dachte: »warum bin ich hier?« die antwort war mir klar: »um sterbenden auf ihrem letzten weg zu helfen.« und das beste und einzige, was ich nun tun konnte, um herrn jalinek zu helfen, war, ihm seinen penis einzucremen. also zog ich mir ein paar einweghandschuhe über, nahm die creme, fragte ihn nochmals kurz, ob es okay wäre, wenn ich ihn jetzt eincreme und tat es dann einfach.
während ich ihn eincremte, sagte er dann auch noch zu allem überfluss: »oh das ist so schön«.
genau in diesem moment musste ich an shirley mclaine denken, wie sie in meinem lieblingsfilm »sweet charity« mit einem bier bei vittorio vidali im wandschrank sitzt und singt »if my friends could see me now«.
und doch war es ein sehr interessanter und bewegender moment, weil ich erkannte, dass unser körper bis zuletzt imstande ist, uns wunderbare momente zu schenken. und dass eine einfache berührung eine ganz große freude darstellen kann. viel mehr noch als wilder sex auf einer disco-toilette, habe ich mir sagen lassen.
so blicke ich heute auf meine zeit im hospiz viel mehr lachend als traurig zurück. es gibt mehr beglückendes, das ich dort erlebt habe, als bedrückendes.
und so würde ich mir wünschen, dass sich viele junge menschen auch aus dem nachtleben heraus in ein hospiz wagen würden, um dort zu lachen, um sich beglücken zu lassen. und um make-up dabei zu haben, wenn es von einem »primadonna girl« gebraucht wird.
das video zu der »primadonna girl«
version von dada peng feat.KLARA
findest du unter www.meinbuch.tv/video
schreib mich voll, mein baby, mein schatz!
und jetzt atme und verweile, weine und lache, bete oder koche,
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