mein buch vom leben und sterben (German Edition)
herausforderung, die es in diesem moment zu meistern gilt. ich habe erfahren dürfen, dass es in solchen augenblicken keinen besseren wegweiser als das eigene gefühl gibt. lass alle hollywoodfilme im regal und vergiss alles, was du darüber gehört hast, wie ein sterbeprozess zu sein hat. gib deinem gefühl raum und handele entsprechend.
das ist mein rat, und genau das zu tun, hat mir sehr gut getan.
zwei abende bevor meine mutter starb, saß ich mit meiner Cousine und einer von mir sehr geschätzten bekannten bei einem wein zusammen. die bekannte ist astrologin und eine der wenigen personen in meinem umfeld, die über eine außergewöhnliche wahrnehmungsfähigkeit verfügt. ich habe regelmäßig das gefühl, dass sie keinerlei bewertung vornimmt, ob man sich richtig oder falsch verhält, ob man gut oder schlecht ist. für sie scheinen die dinge einfach nur zu sein. ich nenne sie immer »bette middler«, da sie eine sehr weibliche ausstrahlung hat, wie eine diva vor mir sitzt und leidenschaftlich gerne raucht.
als wir nun dort saßen und über die situation meiner mutter sprachen, traute ich mich zum ersten mal zu sagen: »am liebsten würde ich einfach nur nach köln fahren.« sie entgegnete mir recht trocken wie immer: »ja dann machen sie das doch. ihre mutter braucht sie nicht.«
meine cousine schien im ersten moment entsetzt, und ich sah ihr an, dass sie: »wie können sie so etwas sagen?« auf den lippen hatte.
aber ich sagte nur: »das ist genau das, was ich auch denke. meine mutter ist so in ihrem eigenen film, und alles aus ihrem alten leben scheint sie nur von dem, was vor ihr liegt, abzulenken. allerdings habe ich auch das gefühl, dass ich als ihr sohn bei ihr sein sollte, wenn sie stirbt.«
bette middler zog nochmals an ihrer elektro-zigarette, die sie sich kurz zuvor zugelegt hatte, und wiederholte ziemlich cool: »quatsch, fahren sie ruhig nach köln, machen sie sich ’nen schönen abend.«
und das tat ich dann auch. ich verabschiedete mich von meiner mutter, wünschte ihr alles glück und alles gute, kaufte mir ne flasche crémant, fuhr nach hause und hörte auf der gesamten autofahrt von dortmund nach köln »rihanna«. bloß kein »buddha bar«, keinen christlichen trauersong und auch nicht whitney houston. »rihanna« war genau richtig. ich traf mich mit einem freund, und wir tranken und schliefen, bis morgens um 6 der anruf kam, dass meine mutter gestorben war.
schreib mich voll, mein baby, mein schatz!
es war eigentlich ein recht schöner vormittag mit meiner toten mutter
als ich aus köln zurück in das haus meiner mutter kam, hatte das beerdigungsunternehmen bereits den leichnam abgeholt.
ich betrat das zimmer – mein früheres kinderzimmer –, in dem auch schon mein vater gestorben war, und in dem meine mutter in ihren letzten tagen gelegen hatte. urplötzlich überkam mich eine so tiefe traurigkeit, die ich später dann in dieser weise nie wieder so intensiv empfunden habe. und ich konnte mich ihr nicht entziehen.
denke ich an den tod meines vaters und meines hundes, war diese trauer anders. damals verfolgte sie mich und überkam mich in den merkwürdigsten situationen. in dem einen moment war ich recht unbeschwert, im anderen voller schmerz und sehnsucht.
am selben morgen noch fuhr ich dann also in das beerdigungsinstitut und traf dort auf den lebensgefährten meiner mutter, meinen bruder und meinen stiefbruder. so saßen wir vier jungs nun da und sollten die letzten dinge
für meine mutter regeln. ich hatte verdrängt oder vergessen, dass man direkt mit fragen bezüglich der beerdigung konfrontiert wird. fragen, mit denen ich in dem moment eigentlich völlig überfordert war. ich hätte mir gewünscht, die organisation der trauerfeier zu übernehmen und vor allem für die trauerrede und musikauswahl zuständig sein zu dürfen. als ich dies äußerte, schaute mich der lebensgefährte meiner mutter etwas erschrocken an und sagte: »aber du weißt ja, mama mochte es nicht so dramatisch.«
daraufhin schickte ich barbara streisand direkt eine sms, dass sie doch nicht bei der beerdigung singen müsse und auch den blinden kindern, die eigentlich tanzen sollten, sagte ich direkt wieder ab. ☺
als mutters freund dann gefragt wurde, ob wir ihr denn persönliche kleidungsstücke anziehen lassen wollten, sagte dieser: »der letzte wunsch meiner frau war es, in ihrem ungetragenen hochzeitskleid beerdigt zu werden.« ich blickte nur zu meinem bruder rüber
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