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Mein digitales Ich

Mein digitales Ich

Titel: Mein digitales Ich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ariane Christian u Greiner Grasse
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Facebook-Booms in dem symbiotischen Verhältnis zwischen der Sehnsucht des aufgespaltenen Ich nach Einheit einerseits und dem Potenzial einer Facebook-Präsenz, die verlorene Einheit wiederzugewinnen. Wenn ich mich schon im realen Leben bis zur Unkenntlichkeit aufsplitten muss – auf Facebook wenigstens habe ich ein erkennbares Profil. Hübsch geordnet präsentiert sich hier die ganze Buntheit meiner Persönlichkeit. Sollte ich mich jemals im Wirrwarr der beruflichen, freizeitlichen, familiären oder sonstigen Bindungen verlieren, die oft nicht allzu viel mit dem zu tun haben, was mir gefällt, mich wirklich bewegt – auf Facebook weiß ich wieder, wer ich bin. Denn hier geht es um nichts weiter als um das, was mich bewegt, was die mit mir Verbundenen bewegt und was wir bewegen wollen. Es geht also um meine Bewegungen. Es geht, endlich einmal, nur um mich und meine Welt.
M y friends are my castle
    Indem ich mich in einem Social-Media-Netzwerk wie Facebook bewege, wächst über die Zeit hinweg ein digitales (Facebook-)Ich heran, dessen ich mich täglich, ja stündlich vergewissern kann. Durch die Kommentare, Postings und Likes meiner Facebook-Freunde gewinnt, meinen wir, meine eigene Persönlichkeit über den Umweg des Digitalen an Kontur. Die Resonanz meiner Kommunikationspartner auf meine Beiträge zeitigt einen »energetischen« Nutzen, der unabhängig von der Natur des Kommentars – zustimmend oder ablehnend – mein Ich stärkt, indem er mein Profil schärft. Mit ziemlicher Sicherheit werde ich über einen Kommentar, den ich auf der Pinnwand eines Bekannten hinterlassen habe, noch einmal nachdenken, wenn er – im Unterschied etwa zu anderen Kommentaren von mir oder zu den Kommentaren der anderen – null Likes bekommt. »War ich hier vielleicht doch zu einseitig?« – »Bin ich mit meiner Kritik womöglich übers Ziel hinausgeschossen?« Das sind Gedanken, die bestimmt jeder, der sich in Social-Media-Netzwerken an Diskussionen beteiligt, schon einmal gehabt hat. Es ist mir schließlich nicht egal, was meine Freunde und Bekannten denken. Wenn ich mich mit meiner Äußerung isoliere, werde ich mich vermutlich fragen, warum das so ist, meinen Kommentar überdenken und ihn entweder bewusst so stehen lassen, modifizieren oder löschen.
    Ähnlich wie beim Biofeedback wirkt dieses »Social Feedback« auf mich und mein digitales Ich zurück. Goethe hätte dem sicher zugestimmt, hätten Internet und Social Media zu seiner Zeit schon existiert. Denn was der Diplomat Antonio imzweiten Akt des Schauspiels Torquato Tasso 27 dem Dichter Tasso als Weisheit mit auf den Weg gibt, beschreibt ziemlich gut die Wirkung von Social Feedback auf die Persönlichkeitsbildung:

    »Inwendig lernt kein Mensch sein Innerstes
    Erkennen: denn er mißt nach eig’nem Maß
    Sich bald zu klein, und leider oft zu groß.
    Der Mensch erkennt sich nur im Menschen, nur
    Das Leben lehret jeden, was er sey.«
    Um uns selbst zu erkennen, brauchen wir die anderen. Der Blick in den sozialen Spiegel hilft uns, ein realistisches Bild von uns selbst zu bekommen.
    Darüber hinaus stärkt das Eingebundensein in Social-Media-Netzwerke mein persönliches »Sozialkapital«, das wir mit dem Soziologen Nan Lin verstehen wollen als »elastisches Konstrukt zur Beschreibung des Gewinns, den man aus der Beziehung zu anderen Leuten zieht« 28 . Dank Social Media war es noch nie so einfach wie heute, Kontakte zu knüpfen und den Bekanntenkreis zu erweitern. Die Tools, um dies zu tun, sind einfach zu bedienen, die Möglichkeiten der Vernetzung durch Social Media übersteigen die im rein Analogen um ein Vielfaches. Ich muss nicht erst auf einem Konferenzparkett meine Visitenkarten unter die Leute bringen oder auf einer Party glänzen, es reicht schon, das, was ich für interessant halte, auf meiner Pinnwand zu posten, und schon bin ich in meinem per Mausklick erweiterbaren Kreis präsent. Mitunter reicht ein Kommentar, den ich irgendwo hinterlassen habe, um eine Freundschaftsanfrage von jemandem zu bekommen, dem meine Ansichten gefallen und der mich zum weiteren Austausch von Wissen und Meinungen gerne kennenlernen möchte. Klick. Kontakt bestätigt. Freundschaft möglich.
Die neue Echtheit
    Auch ist die Qualität der zwischenmenschlichen Begegnungen dank Facebook und ähnlicher Social-Media-Netzwerke eine neue. Die Kommunikation zwischen Menschen, auch zwischen einander Fremden, hat durch die neue Offenheit, die die Social-Media-Netzwerke hervorgebracht haben, ein

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