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Mein digitales Ich

Mein digitales Ich

Titel: Mein digitales Ich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ariane Christian u Greiner Grasse
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umwelt- und verhaltensbezogenen Informationen (z. B. Standort, Arbeitszeit pro Tag, Ernährung, täglich zurückgelegten Wegstrecken oder Schritten) ins Verhältnis zu setzen und daraus Erkenntnisse über den eigenen Lebensstil, das eigene So-Sein, abzuleiten.
    Die Verfahren, um die Daten zu erfassen, sind je nach gemessenem Bereich unterschiedlich. So werden die Zahlenwerte sowohl manuell in Excel-Tabellen oder andere Listen eingetragen – etwa die momentane Stimmung auf einer Skala von eins bis zehn – als auch via Smartphone-App oder Vitalitätssensor automatisch erfasst und je nach Belieben visualisiert und auf Quantified-Self-Portalen oder in sozialen Netzwerken mit der Community geteilt. Ausgewertet werden die Daten meist in Form von Visualisierungen wie Diagrammen, Graphen oder tag clouds.
    Die Selftracker erhoffen sich von den Werten und den sich über die Zeit herauskristallisierenden Korrelationen zwischen den verschiedenen Parametern nichts Geringeres als eine tiefere Selbsterkenntnis. Aus den gewonnenen Daten wollen sieDinge über sich und ihren Körper herausfinden, die man sonst nicht herausfinden würde, Zusammenhänge aufdecken, die bislang im Verborgenen lagen. Wer bin ich, und wer will ich sein?, lauten die Kernfragen der Selftracking-Bewegung. Mit Hilfe von Smartphone-Apps, diversen Tools, Gadgets und Devices wie etwa mit Sensoren ausgestatteten Schuhen, Stirn- oder Armbändern, daumengroßen Schrittzählern, mit dem Computer vernetzten Körperwaagen, Blutzucker- oder Lungenfunktionsmessgeräten einerseits, Visualisierungs- und Auswertungs-Software andererseits wird die uralte Philosophentradition, sich selbst erkennen zu wollen, mit neuer Energie belebt und sozusagen aus den ätherischen Höhen des Elfenbeinturms ins vergleichsweise pragmatische Hier und Jetzt verfrachtet. Der »Blick in den digitalen Spiegel«, wie es ein Quantified-Selfer ausdrückt, ermöglicht einen vollkommen neuen Zugang zu sich selbst, zum eigenen Körper, zum eigenen Sein.
Wer will ich sein?
    Der Quantified-Self-Bewegung geht es, wie schon angedeutet, nicht um Selbsterkenntnis allein, sondern auch um Selbstoptimierung. Die Selbstvermesser wollen aus den gewonnenen Daten erkennen, warum sie so leben, wie sie leben, um schädliche, also dem Wohlbefinden und der Leistungsfähigkeit abträgliche Verhaltens- und Reaktionsmuster zu ändern. Sie wollen wissen, wie ihr Körper »tickt«, wie es in ihrem Inneren aussieht, wie und nach welchen Mustern ihr Körper auf die unzähligen Einflüsse reagiert, die sein tägliches Ausgesetztsein mit sich bringt – mit dem Ziel, dort, wo es nötig ist, gegenzusteuern und das Verhalten zu ändern. So sind viele Produkte zur Selbstvermessung so konzipiert, dass sie die Selbstmotivation fördern und den Anwender zu einem von ihm angestrebten Verhalten motivieren sollen. Indem er vom jeweiligen Programm ein unmittelbares Feedback bekommt, sei es visuell, akustisch oder auch nur als reiner Zahlenwert, wird ihm ein bestimmtes Verhalten bewusst gemacht, was wiederum zur Verhaltensänderung animiert.
    Neben den Einsichten in die Funktionsmechanismen des eigenen Körpers für Trainings- und Optimierungszwecke geht es bei Quantified Self auch darum, überholte Standards dessen, was vermeintlich »normal« ist oder »gesund«, neu zu justieren. Man will sich nicht länger von einer – womöglich im Verdacht der Profitorientiertheit stehenden – Arztautorität messen, kategorisieren und therapieren lassen, zumindest nicht ausschließlich. Statt sich in die alleinige Obhut eines chronisch überarbeiteten und zur Wirtschaftlichkeit verdammten Arztes zu begeben, nimmt man die Sache lieber selbst in die Hand. Man misst und trackt und wertet aus und teilt diese Daten mit der Community. Die Daten der anderen, genauer: all jener Community-Mitglieder, die einen ähnlichen Lebensstil pflegen wie man selbst, bilden dann neue Maßstäbe, unabhängig davon was bis dahin als »normal« oder »nicht normal« galt. Diese neuen, wenn man so will evidenzbasierten, durch die Ergebnisse der Community definierten und insofern vergleichsweise differenzierten Konzepte von »Normalität« erlauben es dem Individuum, sich selbstbestimmt zu entwickeln, eingebettet im Datennetz der Community. Lieber vergleicht man sich mit denen, die einem selbst ähneln, und versucht, nach und nach besser (je nach eigenen Zielen eben: schneller, schlanker, kräftiger, leistungsfähiger oder was auch immer) zu werden, anstatt sich von

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