Mein digitales Ich
Formel aus dem antiken Griechenland.
Die Techniken zur Selbsterkennung sind je nach Kultur, intellektuellen und spirituellen Fähigkeiten unterschiedlich. Ob wir unser Befinden in Form eines mehrseitigen Tagebucheintrags von literarischer Qualität festhalten oder stichpunktartig Buch führen über einzelne von uns für wichtig gehaltene Kenngrößen – und seien es nur die wöchentlichen Haushaltsausgaben –, immer steht dahinter der Wunsch, Kenntnis über uns selbst und unser Leben zu erlangen. In erster Linie wohl, um »Herr über sich selbst« zu sein, das eigene Leben im Griff zu haben und nicht als Spielball anderer Kräfte durch die Welt zu kullern.
Die menschliche Neigung, Spuren, die man durch sein Tun hinterlässt, zu bewahren – nicht nur, aber auch in der Hoffnung, aus den Aufzeichnungen mehr über sich selbst zu erfahren –, hat in den letzten Jahren durch technische Entwicklungen wie Web 2.0, Social Media und Augmented Reality, also die computergestützte Erweiterung meiner Realitätswahrnehmung etwa durch Einblenden von Informationen in den momentanen Realitätsausschnitt auf meinem Smartphonedisplay, enormen Aufwind bekommen. Nie war es so einfach wie heute, mit Hilfe von Software, Kleinstgeräten wie dem Alleskönner Smartphone und winzigen Gadgets das eigene Leben zu beobachten und digital zu archivieren.
So weit, so gut. Doch was, wenn auch andere an meinen Daten interessiert sind? Wenn andere meine Bewegungen durchs Leben verfolgen, aufzeichnen und speichern, möglicherweise sogar, ohne dass ich davon weiß?
In der Tat ist solches Fremdinteresse an der eigenen Person längst die mal mehr, mal weniger versteckte Realität. Unzählige Programme und Dienste sind nur dazu da, uns am Computer oder über unser mobiles Endgerät beim Kaufen, Spielen, Herunterladen und Suchen auszuspionieren und die personenbezogenen Daten für verschiedenste Zwecke zu speichern. Vor allem für die Werbeindustrie sind die genauen Adressen und Telefonnummern attraktiv, möglichst angereichert durch Informationen zu Einkaufsgewohnheiten, persönlichem Umfeld und finanzieller Situation.
Im Jahr 2007 ließen sich die beiden amerikanischen Technikjournalisten Kevin Kelly und Gary Wolf von der allgemeinen Datensammelwut zu einem Projekt inspirieren, das sie »TheQuantified Self« nannten. Die Grundidee lautet »Selfknowledge through numbers« – Selbsterkenntnis durch Zahlen. Durch permanente Vermessung des eigenen Körpers und die dadurch erhobenen Körperdaten will man sich selbst besser kennenlernen. Schließlich, so Gary Wolf, sei es nur fair, wenn man so viel über sich selbst wisse, wie es auch Google oder Facebook schon tun.
Auf der Internetseite www.quantifiedself.com heißt es: »Quantified Self is a collaboration of users and tool makers who share an interest in self knowledge through self-tracking. We exchange information about our personal projects, the tools we use, tips we’ve gleaned, lessons we’ve learned. We blog, meet face to face, and collaborate online.« 1
Seit 2011 findet dieser Trend auch in Deutschland immer mehr Anhänger. Der deutsche Ableger definiert sich auf www.quantified-self.de schlicht als »Netzwerk aus Anwendern und Herstellern von Tools und Methoden auf Basis persönlicher Daten«.
Quantified Self ist also ein Prinzip in Bewegung: Selbsterkenntnis durch Daten, die durch konstantes Vermessen der eigenen Person, der jeweiligen Umwelt und der Bewegungen dieser Person in ihren Umwelten gewonnen, dokumentiert und je nach Belieben in Social-Media-Netzwerken geteilt werden.
Die »Quantified Selfer«, »Lifelogger« oder »Selftracker« betrachten den menschlichen Körper als einen Daten-Körper, der permanent mit seiner Umwelt im Austausch steht. Sie messen und dokumentieren (»tracken«) beinahe jeden Aspekt ihres alltäglichen Lebens: was sie essen und wie sie sich danachfühlen, wie und wie viel sie schlafen, wie viel sie sich am Tag bewegen, wie oft sie Sex haben, sie tracken die verschiedensten Körperfunktionen, Befindlichkeiten und Verhaltensweisen. Das Stresslevel – sowohl das subjektiv gefühlte wie auch das objektiv gemessene – wird ebenso in Zahlen festgehalten wie das tägliche Kommunikationsverhalten, Finanzaktivitäten, Kaffee- oder Alkoholkonsum. Immer geht es darum, biologische, psychische und physische Werte, im Großen und Ganzen also alle gesundheitsrelevanten Daten (z. B. Körpergewicht, Blutwerte, Blutdruck, Lungenkapazität oder psychisches Befinden), mit
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