Mein erfundenes Land
mischten, gäbe es in wenigen Jahren nur noch eine einzige Sorte Hund: ein kräftiges und kluges Tier, mittelgroß, mit kurzem und starkem Fell, spitzer Schnauze und eigensinnigem Schwanz, kurz: die typische chilenische Promenadenmischung. Darauf wird es wohl hinauslaufen. Und wenn alle menschlichen Rassen in einer einzigen verschmelzen, werden die Leute eher klein sein, von undefinierbarer Hautfarbe, anpassungsfähig, zäh und duldsam gegenüber den Wechselfällen des Lebens, wie wir Chilenen eben.
In jenen Zeiten holte man das Brot zweimal täglich vom Bäcker an der Ecke und brachte es in ein weißes Tuch eingeschlagen nach Hause. Der Geruch dieses Brots, eben frisch aus dem Ofen und noch warm, ist eine meiner lebhaftestenKindheitserinnerungen. Die Milch war ein schaumiger Rahm und wurde vom Faß verkauft. Eine Schelle am Hals des Pferdes und der Geruch nach Stall, der durch die Straße wehte, kündete von der Ankunft des Milchkarrens. Die Dienstmädchen stellten sich mit ihren Töpfen und Kannen an, und der Milchmann versenkte seinen haarigen Arm bis zur Achsel in dem von Fliegen umschwirrten Bottich und maß die Milch mit einem Henkelbecher ab. Manchmal kaufte man viele zusätzliche Liter für den manjar blanco – auch dulce de leche genannt –, eine Karamelcreme, die sich im kühlen Dunkel des Kellers neben den Weinflaschen aus eigener Abfüllung über Monate hielt. Für diese Köstlichkeit wurde zuerst im Hof ein Feuer aus Holz und Kohlen entfacht. Darüber stellte man ein Dreibein mit einem rußgeschwärzten Eisenkessel, und da hinein kamen die Zutaten im Verhältnis vier Tassen Milch auf eine Tasse Zucker, für den Geschmack zwei Vanilleschoten und die Schale einer Zitrone. Das ganze wurde über Stunden geduldig eingekocht und ab und an mit einem ellenlangen Holzlöffel umgerührt. Wir Kinder sahen aus der Ferne zu und warteten, daß es endlich soweit wäre und die Creme abkühlte, damit wir den Topf auskratzen konnten. Man erlaubte uns nicht, näher heranzukommen, und erzählte uns stets aufs neue die traurige Geschichte von dem naschhaften Kind, das in den Topf gefallen war und sich »in der kochenden Creme aufgelöst hat, und man hat nicht mal mehr die Knochen gefunden«. Als die pasteurisierte Milch in Flaschen erfunden wurde, kleideten sich die Hausfrauen in ihren Sonntagsstaat und ließen sich wie Hollywood-Diven vor dem weißlackierten Milchauto ablichten, das den schmutzstarrenden Pferdekarren ersetzt hatte. Heute gibt es nicht nur abgepackte Vollmilch, entrahmte Milch und Milch in unterschiedlichen Geschmacksrichtungen, sondern man kauft auch fertigen manjar blanco ; niemand macht ihn mehr selbst.
Im Sommer liefen zerlumpte Kinder mit Körben vollerBrombeeren und Säcken voller Quitten für Gelee durch unser Viertel. Auch der muskelbepackte Gervasio Lonquimay stellte sich ein, der die Federn der Bettroste spannte und die Wolle der Matratzen wusch, eine Arbeit, die drei oder vier Tage in Anspruch nehmen konnte, denn die Wolle mußte in der Sonne trocknen und dann von Hand entwirrt werden, ehe man sie zurück in die Bezüge stopfte. Über Gervasio Lonquimay raunte man, er habe im Gefängnis gesessen, weil er einem Rivalen die Gurgel durchgeschnitten habe, ein Gerücht, das ihn mit einer Aura unzweifelhaften Ruhms umgab. Die Dienstmädchen hätschelten ihn mit Mandelmilch gegen den Durst und Handtüchern gegen den Schweiß.
Ein Leierkastenmann, immer derselbe, war in den Straßen unterwegs, bis ihm einer meiner Onkel eines Tages die Drehorgel abkaufte und zusammen mit einem jämmerlichen Papagei auszog, die immer gleichen Liedchen zu orgeln und Glückslose zu verteilen, sehr zum Entsetzen meines Großvaters und der übrigen Familie. Wenn ich es recht verstehe, wollte mein Onkel so die Gunst einer Cousine gewinnen, der Schuß ging jedoch nach hinten los: Das Mädchen heiratete Hals über Kopf einen anderen und sah zu, daß sie fortkam. Schließlich verschenkte mein Onkel das Instrument, und der Papagei blieb bei uns. Er war ein Miesepeter, der einem obendrein mit einem Schnabelhapps den Finger abreißen konnte, wenn man ihm unbedacht zu nahe kam, aber mein Großvater mochte ihn, weil er fluchte wie ein Korsar. Zwanzig Jahre lebte dieser rauhbauzige Vogel bei ihm, und wer weiß, wie viele er zuvor schon gelebt hatte. Er war ein gefiederter Methusalem. Auch Zigeunerinnen kamen in unser Viertel, die mit ihrem verworrenen Spanisch und diesen Augen, die so viel von der Welt gesehen hatten, jeden übers
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