Mein erfundenes Land
darunter auch manches von so dubiosem Aussehen, daß kein Fremder es wagt, davon zu kosten, etwa Seeigel und Felsenmuscheln – Jod und Salz, die reine Essenz der See. Unser Fisch ist so gut, daß man für seine Zubereitung nichts vom Kochen verstehen muß. Auf den Boden einer feuerfesten Form aus Steingut oder Glas breiten Sie ein Bett aus gehackten Zwiebeln, darauf legen Sie Ihren prächtigen, in Zitronensaft marinierten Fisch, geben einige Butterflöckchen darüber, salzen und pfeffern ihn und garen ihn dann im vorgeheizten Backofen, wobei Sie darauf achten müssen, daß der Fisch durch ist, aber nicht zu lange im Ofen bleibt, sonst wird er trocken. Genießen Sie ihn zusammen mit einem unserer gut gekühlten Weißweine im Kreis Ihrer liebsten Freunde.
Jedes Jahr zu Weihnachten nahm uns Großvater mit, um einen der Truthähne zu kaufen, die von den Bauern für die Festtage gemästet wurden. Ich sehe den alten Mann noch vor mir, der, sein Bein nachziehend, durch den Pferch hechtet auf der Jagd nach dem fraglichen Vogel. Er mußte sich mit einem gutberechneten Sprung auf das Tier werfen, es zu Boden reißen und festhalten, während einer von uns sich mühte, die Truthahnfüße mit einem Strick zusammenzubinden. Später bekam der Bauer ein paar Münzen extra, damit er dem Vogel fernab von den Blicken der Kinder den Halsumdrehte, denn sonst hätten wir uns geweigert, von dem Braten zu essen. Es ist sehr schwer, einem Geschöpf den Garaus zu machen, zu dem man eine persönliche Beziehung aufgebaut hat, wie wir feststellen durften, als Großvater einmal ein Zicklein heimbrachte, das er im Hof mästen und zu seinem Geburtstag grillen wollte. Das Tier starb an Altersschwäche. Zudem entpuppte es sich nicht als Ziege, sondern als Bock, der uns, kaum waren ihm Hörner gesprossen, aus dem Hinterhalt attackierte.
Das Santiago meiner Kindheit dünkte sich eine Großstadt, besaß jedoch die Seele eines Dorfes. Man wußte alles voneinander. Jemand fehlte am Sonntag in der Messe? Es sprach sich in Windeseile herum, und noch vor Mittwoch klopfte der Gemeindepfarrer an die Tür des Sünders, um dessen kleinlaute Entschuldigung zu hören. Die Männer gingen steif vor Pomade, Wäschestärke und Eitelkeit aus dem Haus; die Frauen mit Nadeln im Hut und Glacéhandschuhen; Eleganz war oberstes Gebot, wollte man ins Stadtzentrum oder ins Kino, das damals noch »Lichtspielhaus« hieß. Nur wenige Leute besaßen einen Kühlschrank – in dieser Hinsicht war der Haushalt meines Großvaters modern –, und täglich kam ein Buckliger vorbei, der Eis und grobes Salz für die Kühltruhen brachte. Unser Kühlschrank, der vierzig Jahre ohne eine einzige Reparatur überstand, wurde von einem lärmenden U-Boot-Motor angetrieben, der das Haus zuweilen in einem Hustenanfall erschütterte. Mit einem Besen kehrte die Köchin die Leichen der Kätzchen hervor, die unter dem Kühlschrank Wärme gesucht hatten und von Stromschlägen getötet wurden. Im Grunde war diese Form der Prophylaxe ein Segen, denn auf dem Speicher kamen Dutzende Kätzchen zur Welt, und ohne die Elektroschocks des Kühlschranks hätten wir uns nicht zu helfen gewußt.
Wie jede chilenische Familie hatten auch wir Haustiere. Zu Hunden kam man auf verschiedene Arten: Man erbte sie,sie wurden einem geschenkt, man fand sie angefahren, aber noch lebend auf der Straße, oder sie liefen den Kindern auf dem Heimweg von der Schule nach, und dann konnte man sie nicht mehr wegschicken. Das ist immer so gewesen und ändert sich hoffentlich nie. Ich kenne nicht einen normalen Chilenen, der sich je einen Hund gekauft hätte; das tun nur die Anhänger des Kennel Clubs, die sich für Rassehunde begeistern, aber die nimmt eigentlich niemand ernst. Die meisten Hunde bei uns heißen Negro, auch wenn sie nicht schwarz sind, und die Katzen heißen samt und sonders Micifú oder Cucho. In meiner Familie bekamen die Haustiere allerdings traditionell biblische Namen: Barrabas, Salome, Kain, außer einem Hund von zweifelhafter Abstammung, der Pustel hieß, weil er aufgetaucht war, als die Masern unter uns Kindern grassierten. Durch die Städte und Dörfer meiner Heimat ziehen Trupps streunender Hunde, keine hungrigen und verzweifelten Meuten, wie man sie aus anderen Teilen der Welt kennt, sondern organisierte Gemeinschaften. Es sind zahme Tiere, zufrieden mit ihrem gesellschaftlichen Status, ein wenig schläfrig. Einmal las ich in einem Aufsatz, wenn alle existierenden Hunderassen sich frei untereinander
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