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Mein erfundenes Land

Mein erfundenes Land

Titel: Mein erfundenes Land Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Isabel Allende
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Quechua im Norden, Mapuche im Süden –, die darum kämpfen, sich ihre Identität zu bewahren in einer Welt, die ihnen immer weniger Raum läßt.
    Ich wuchs mit dem Märchen auf, in Chile gebe es keine Rassenprobleme. Mir ist unbegreiflich, daß wir eine derartige Unwahrheit noch im Mund zu führen wagen. Wir reden nicht von Rassismus, bei uns heißt das »System der Klassen« (wir haben eine Schwäche für Euphemismen), aber es läuft auf dasselbe hinaus. Nicht genug damit, daß es Rassismus oder meinetwegen ein Klassenwesen gibt, diese Geisteshaltung ist auch eingewurzelt wie ein Backenzahn. Wer behauptet, das sei Vergangenheit, der irrt sich, wie ich gerade erst wieder feststellen mußte, als man mir bei meinem letzten Besuch erzählte, eine renommierte Anwaltskanzlei habe die Bewerbung eines brillanten Jura-Absolventen der Universidad de Chile abgelehnt, weil er nicht »ins Erscheinungsbilddes Unternehmens« paßte. Mit anderen Worten: Er war Mestize und hatte einen Mapuche-Nachnamen. Die Mandanten der Kanzlei würden sich bei ihm nicht gut aufgehoben fühlen, sie würden auch nicht wollen, daß er mit einer ihrer Töchter ausgeht. Wie im übrigen Lateinamerika, so ist auch bei uns die Oberschicht relativ weiß, und je weiter man die steile soziale Leiter hinabsteigt, desto deutlicher treten die indianischen Züge zutage. Da es uns jedoch an Vergleichen mangelt, halten wir uns in der Mehrheit für Weiße. Ich war überrascht, daß ich in den Vereinigten Staaten als »Farbige« gelte. (Einmal, als ich ein Einreiseformular ausfüllen mußte, knöpfte ich meine Bluse auf, um dem afroamerikanischen Beamten meine Hautfarbe zu zeigen, weil er mich in die letzte rassische Kategorie auf seiner Liste eintragen wollte: »Andere«. Er fand das nicht lustig.)
    Auch wenn es kaum noch reine Indianer in Chile gibt – nur etwa zehn Prozent der Gesamtbevölkerung –, fließt ihr Blut doch durch die Adern unseres gemischten Volkes. Die Mapuche sind im allgemeinen eher kleingewachsen, haben kurze Beine, einen langen Rumpf, braune Haut, dunkle Haare und Augen und markante Wangenknochen. Sie hegen ein tiefverwurzeltes – und gerechtfertigtes – Mißtrauen gegenüber allen Nicht-Indianern, die sie »huincas« nennen, was nicht »Weiße«, sondern »Landdiebe« heißt. Die verschiedenen Stämme der Mapuche haben erheblich zur Herausbildung unseres Nationalcharakters beigetragen, auch wenn früher niemand, der auf sich hielt, die geringste Verbindung zwischen sich und ihnen eingeräumt hätte, weil sie als Trunkenbolde, Faulenzer und Diebe galten. Der spanische Dichter Don Alonso de Ercilla y Zúñiga, der als verdienter Soldat Mitte des 16. Jahrhunderts in Chile war, sah das allerdings anders. Er verfaßte La Araucana , ein langes Versepos, das von der spanischen Eroberung und dem erbitterten Widerstand der Eingeborenen erzählt. Im Prolog wendet er sich an seinen Herrn, den König, und sagtüber die Araukaner, sie hätten »… mit reinem Mut und trotzigem Entschluß ihre Freiheit errungen und bewahrt und ihr so viel Blut zum Opfer dargebracht, das eigene wie das der Spanier, daß wahrlich kaum ein Ort nicht getränkt ist von ihm und übersät von Knochen… Und so groß ist der Mangel an Menschen, da so viele ihr Leben ließen in diesem Unterfangen, daß um der Zahl und Stärke der Schwadronen willen auch ihre Frauen in den Krieg ziehen, zuweilen wie Männer kämpfen und sich mit großer Tapferkeit dem Tod entgegenwerfen.«
    In den letzten Jahren haben sich einige Mapuche-Stämme erhoben, und man kann sie nicht länger ignorieren. Tatsächlich sind die Indianer in Mode gekommen. Es mangelt nicht an Intellektuellen und Umweltschützern, die emsig nach einem lanzenschwingenden Ahnherrn suchen, mit dem sich ihr Stammbaum schmücken ließe. Ein heroischer Indianer macht sich in der Familienchronik besser als ein kränklicher, von gelbstichigen Rüschen umwogter Graf, der vom Leben bei Hofe verweichlicht ist. Ich gestehe, daß auch ich mich gern eines kazikischen Urgroßvaters brüsten würde und, wenngleich bisher erfolglos, versucht habe, mir einen Mapuche-Nachnamen zuzulegen, so wie man früher europäische Adelstitel erwarb. Durch einen solchen Kuhhandel ist mein Vater vermutlich zu seinem Wappenschild gekommen: drei ausgemergelte Hunde auf blauem Grund, wenn ich mich recht erinnere. Besagter Schild war im Keller versteckt und wurde nie erwähnt, denn die Adelstitel waren mit der Unabhängigkeit von Spanien für ungültig

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