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Mein erfundenes Land

Mein erfundenes Land

Titel: Mein erfundenes Land Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Isabel Allende
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rechtmäßigen Eigentümern niemand einen Gedanken verschwendete. Das Teutonenblut sollte unser gemischtes Volk veredeln, ihm Arbeitsethos, Disziplin, Pünktlichkeit und Organisationsgeschick eingeben. Die dunkelgelbe Haut und das störrische Haar der Indianer waren schlecht gelitten, da konnten nach Ansicht der Obrigkeit ein paar germanische Erbanlagen nicht schaden. Man erwartete Ehen zwischen Einwanderern und Chilenen und daß die wenig präsentablen Einheimischen durch diese Mischung gewännen, zu der es in Valdivia und Osorno auch kam, zwei Provinzen, die sich heute mit großgewachsenen Männern, vollbusigen Frauen, blauäugigen Kindern und Apfelstrudel nach Originalrezept brüsten dürfen. Noch heute sind die Vorurteile gegenüber der Hautfarbe so ausgeprägt, daß eine Frau bloß blond zu sein braucht, und die Männer drehen sich auf der Straße nach ihr um, auch wenn ihr Gesicht an einen Leguan erinnert. Mir wurden die Haare schon im zartesten Säuglingsalter mit einer süßlich riechenden Flüssigkeit gebleicht, die Bayrum hieß. Wie anders ließe sich das Wunder erklären, durch das sich die schwarzen Strähnen, mit denen ich zur Welt kam, noch ehe ich sechs Monate alt war, in goldene Engelslöckchen verwandelt hatten. Bei meinen Brüdern erübrigten sich solcherlei Maßnahmen, denn der eine hatte krauses Haar, und der andere war blond. Jedenfalls hatten die Einwanderer aus dem Schwarzwald einen großen Einfluß in Chile, und viele sind der Meinung, sie hätten den Süden vor der Barbarei bewahrt und in das strahlende Paradies verwandelt, das er heute ist.
    Nach dem Zweiten Weltkrieg schwappte eine andere Welle deutscher Einwanderer ins Land, die in Chile Unterschlupf suchten, weil man dort solche Sympathien für siehegte, daß sich unsere Regierung den Alliierten erst in allerletzter Minute angeschlossen hatte, als man beim besten Willen nicht mehr neutral bleiben konnte. Während des Krieges marschierte die nationalsozialistische Partei Chiles in braunen Uniformen, mit Hakenkreuzfahnen und Hitlergruß durch Santiago. Meine Großmutter lief nebenher und bewarf sie mit Tomaten. Diese Dame war die Ausnahme, denn in Chile waren die Leute so antisemitisch, daß »Jude« als derbes Schimpfwort galt; manchen meiner Freunde wurde der Mund mit Seifenwasser ausgewaschen, weil sie es zu sagen gewagt hatten. Gesprochen wurde über Juden nur als »Israeliten« oder »Hebräer« und fast ausschließlich im Flüsterton. Noch heute besteht die dubiose Colonia Dignidad, ein Nazi-Camp, das nach außen vollkommen abgeschottet ist wie ein Staat im Staat und noch von keiner Regierung aufgelöst werden konnte, weil die Streitkräfte wohl im geheimen ihre schützende Hand darüber halten. In den Jahren der Militärdiktatur von 1973 bis 1989 nutzte der Geheimdienst die Kolonie als Folterzentrum. Ihrem derzeitigen Chef werden sexueller Mißbrauch von Minderjährigen und andere Delikte vorgeworfen, und er ist auf der Flucht vor der Justiz. Die Bauern im Umkreis hegen allerdings Sympathien für die mutmaßlichen Nazis, weil die eine erstklassige Klinik betreiben, die der Bevölkerung offensteht. Am Eingang zur Kolonie gibt es ein deutsches Lokal, das den besten Kuchen der Gegend anbietet und seltsame blonde Kellner mit Echsenaugen und nervösen Gesichtszuckungen beschäftigt, die auf Fragen einsilbig antworten. Das wurde mir berichtet, nachgeprüft habe ich es nicht.
    Während des 19. Jahrhunderts kam auch eine stattliche Zahl von Engländern ins Land, die die Frachtrouten zur See, die Eisenbahnen sowie Import und Export kontrollierten. Einige ihrer Nachkommen der dritten oder vierten Generation hatten England zwar nie betreten, nannten es aber dessenungeachtet home und bildeten sich wunder etwasdarauf ein, Spanisch mit Akzent zu sprechen und das Weltgeschehen in veralteten Zeitungen zu verfolgen, die sie aus Britannien bezogen. Mein Großvater machte viele Geschäfte mit Unternehmen, die in Patagonien Schafe für die britische Textilindustrie züchteten, und erzählte, er habe nie einen Vertrag unterschrieben: das gegebene Wort und ein Handschlag reichten aus. Die Engländer – »Gringos«, was unsere Gattungsbezeichnung für alle mit blonden Haaren und Muttersprache Englisch ist – gründeten Schulen und Clubs und brachten uns allerlei sterbenslangweilige Spiele bei, darunter Bridge.
    Uns Chilenen gefallen die Deutschen wegen des Biers, der Würste und der Pickelhaube, auch wegen des Stechschritts, den unser Militär für seine

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