Mein erfundenes Land
Großvater zurückkehren. Meine ersten Jahre in Lima wurden vom Nebel des Vergessens getilgt. Alle meine Erinnerungen an die Kindheit verbinde ich mit Chile.
Ich wuchs in einer patriarchalischen Familie auf, in der mein Großvater wie Gott war: unfehlbar, allgegenwärtig und allmächtig. Sein Haus in Providencia war nicht der Schatten des weitläufigen Hauses meiner Urgroßeltern in der Calle Cueto, aber während meiner ersten Lebensjahre wurde es mein Universum. Erst vor kurzem reiste ein japanischer Reporter nach Santiago, um das mutmaßliche »große Eckhaus« aus meinem ersten Roman zu fotografieren. Man konnte ihm nicht begreiflich machen, daß es sich um Fiktion handelte. Am Ziel seiner langen Reise kam für den Ärmsten das böse Erwachen, denn Santiago ist seit jenen Zeiten mehrmals dem Erdboden gleichgemacht und wieder aufgebaut worden. In dieser Stadt ist nichts von Dauer. DasHaus, das mein Großvater baute, ist heute eine billige Disco, ein deprimierender Schuppen mit schwarzen Plastikmöbeln und psychedelischen Funzeln. Der Familiensitz meiner Urgroßeltern in der Calle Cueto wurde schon vor Jahren abgerissen, und an seiner Stelle stehen jetzt ein paar Hochhäuser mit Sozialwohnungen, die sich in nichts von den Dutzenden Hochhäusern ringsum unterscheiden.
Gestatten Sie mir eine Bemerkung über jenen Abriß, eine sentimentale Abschweifung. Eines Tages kamen die Maschinen des Fortschritts, um das Haus meiner Vorfahren niederzureißen, und über Wochen stampften sie wie Saurier aus Stahl mit ihren gezahnten Füßen den Boden. Als sich die Staubwolke schließlich legte, konnten die verblüfften Passanten sehen, daß in dieser Wüstenei noch immer einige Palmen standen. Einsam, nackt, der Schopf welk, erwarteten sie wie schicksalsergebene Greise ihr Ende. Doch tauchten anstelle des gefürchteten Scharfrichters einige schwitzende Arbeiter auf und gruben wie emsige Ameisen um jeden Baum einen Trichter, bis sie ihn aus dem Boden lösen konnten. Die schlanken Bäume umklammerten mit ihren feinen Wurzeln dicke Krumen trockener Erde. Mit dem Kran brachte man die verwundeten Palmen zu einigen Löchern, die von den Gärtnern an anderer Stelle vorbereitet worden waren, und pflanzte sie ein. Ein leises Wimmern der Stämme, die Wedel fielen als vergilbte Fetzen, und eine Weile schien es, als könne nichts sie aus ihrem Todeskampf erlösen, aber diese Geschöpfe sind zäh. Eine langsame unterirdische Auflehnung brachte das Leben zurück, die feinen Wurzelhärchen brachen sich Bahn und mischten die Reste der Erde aus der Calle Cueto mit dem neuen Grund. Und endlich war es soweit, der Frühling kam, die Palmen erwachten, schüttelten ihren grünen Schopf und wiegten sich in den Hüften, lebendig und wie neu, allem zum Trotz. Das Bild dieser Bäume aus dem Haus meiner Vorfahren kommt mir häufig in den Sinn, wenn ich an mein eigenes Los einer Verbannten denke.Mein Schicksal ist es, von einem Ort zum andern zu wandern und mich an neue Erde zu gewöhnen. Ich glaube, ich kann es meistern, weil dicke Krumen von daheim an meinen Wurzeln hängen, die ich überallhin mitnehme. Jener japanische Reporter jedoch, der ans Ende der Welt gereist war, um ein Haus aus einem Roman zu fotografieren, kehrte unverrichteter Dinge zurück in sein Land.
Das Haus meines Großvaters sah genauso aus wie das meiner Onkel und jeder anderen vergleichbar vermögenden Familie. Originalität ist nicht die Stärke der Chilenen: Innen gleichen sich ihre Wohnungen fast wie ein Ei dem anderen. Mir wurde berichtet, daß die Reichen heutzutage Innenausstatter beschäftigen und alles, einschließlich der Badezimmerarmaturen, im Ausland kaufen, aber damals hatte noch nie jemand etwas von Innenausstattung gehört. In der guten Stube, in der es immer unerklärlich zog, hingen stierblutrote Samtvorhänge und Kronleuchter, außerdem gab es einen verstimmten Flügel und eine große Standuhr, schwarz wie ein Sarg, die zur vollen Stunde wie eine Totenglocke schlug. Auch zwei grausige Nippesfiguren aus französischem Porzellan standen hier, Mamsells mit staubigen Perücken und Jünglinge in Schuhen mit Absatz. Meine Onkel benutzten sie, um ihre Reflexe zu schärfen: Sie warfen sich die Figuren in hohem Bogen zu und hofften dabei vergeblich, sie würden zu Boden fallen und zerspringen. Das Haus war von exzentrischen Leuten bewohnt, von halbwilden Haustieren und einigen mit meiner Großmutter befreundeten Gespenstern, die ihr aus der Calle Cueto gefolgt waren und uns
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