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Mein erfundenes Land

Mein erfundenes Land

Titel: Mein erfundenes Land Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Isabel Allende
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Paraden übernahm. Aber eigentlich wollen wir wie die Engländer sein. Unsere Bewunderung geht so weit, daß wir uns für die Engländer Lateinamerikas halten und die Engländer überdies für die Chilenen Europas. In dem idiotischen Krieg um die Falklandinseln 1982 unterstützten wir nicht etwa unsern Nachbarn Argentinien, sondern hielten zu den Briten, wodurch deren Premierministerin Margaret Thatcher zur Busenfreundin des zwielichtigen Generals Pinochet avancierte. Diesen Fehltritt wird uns Lateinamerika niemals verzeihen. Aber wir haben zweifellos manches gemein mit den Söhnen des blonden Albion: den Individualismus, die guten Manieren, den Sinn für Fair play, das Standesbewußtsein, die Nüchternheit und die schlechten Zähne. (Britische Nüchternheit schließt natürlich nicht das Königshaus ein, aber das ist für das englische Temperament, was Las Vegas für die Wüste von Nevada ist). Wir bewundern, wie exzentrisch die Briten sich gern gebärden, aber nachahmen können wir das nicht, weil wir uns vor der Blamage fürchten; dafür bemühen wir uns, wie sie den Schein der Selbstbeherrschung zu wahren. Ich sage Schein, weil Engländer wie Chilenen unter gewissen Umständen,etwa beim Fußball, gleichermaßen den Kopf verlieren und fähig sind, den Gegner in der Luft zu zerreißen. Und obgleich beide als gemessen gelten, können sie unendlich grausam sein. Die Greueltaten, die England im Laufe seiner Geschichte begangen hat, sind vergleichbar mit dem, was die Chilenen anrichten, sobald sie einen Vorwand wittern und sich unangreifbar wähnen. Unsere Geschichte ist gespickt mit Abscheulichkeiten. Nicht von ungefähr lautet die Losung des Vaterlandes »Durch Einsicht oder Gewalt«, eine Sentenz, die ich schon immer selten dämlich fand. In den neun Monaten des Bürgerkriegs von 1891 ließen mehr Chilenen ihr Leben als in den vier Jahren Krieg gegen Peru und Bolivien von 1879 bis 1883. Viele von ihnen wurden hinterrücks erschossen oder zu Tode gequält, andere mit Steinen an den Knöcheln ins Meer geworfen. Diese Methode, von der verschiedene lateinamerikanische Diktaturen in den siebziger und achtziger Jahren des 20. Jahrhunderts umfangreich Gebrauch machten, um politische Gegner verschwinden zu lassen, wurde also in Chile bereits fast ein Jahrhundert früher praktiziert. Was nichts daran ändert, daß unsere Demokratie die stabilste und älteste des Kontinents war. Wir waren stolz auf die Effizienz unserer Institutionen, auf unsere unbestechlichen »Carabineros«, auf die Gewissenhaftigkeit unserer Richter und darauf, daß sich kein Präsident im Amt bereicherte, im Gegenteil: Manch einer verließ den Moneda-Palast ärmer, als er ihn bezogen hatte. Seit 1973 haben wir uns mit nichts davon mehr gebrüstet.
    Neben Engländern, Deutschen, Arabern, Juden, Spaniern und Italienern landeten auch Einwanderer aus Osteuropa an unseren Küsten, Wissenschaftler, Erfinder, Akademiker, darunter wahre Genies, die wir unterschiedslos »Jugoslawen« nennen.
    Nach dem Spanischen Bürgerkrieg suchten die Unterlegenen Zuflucht im Ausland. Pablo Neruda charterte 1939 imAuftrag der chilenischen Regierung ein Schiff, die Winnipeg , die beladen mit Intellektuellen, Schriftstellern, Künstlern, Ärzten, Ingenieuren und vorzüglichen Handwerkern von Marseille aus in See stach. Die wohlhabenden Familien aus Santiago empfingen das Schiff in Valparaíso und boten den Flüchtlingen ihre Gastfreundschaft an. Auch mein Großvater war dort. An seinem Tisch wurde stets mitgedeckt für die Freunde aus Spanien, die unangemeldet bei uns hereinschneiten. Ich war damals noch nicht geboren, doch wuchs ich mit Geschichten vom Bürgerkrieg auf und mit den von Schmähwörtern strotzenden Liedern jener leidenschaftlichen Anarchisten und Republikaner. Mit ihren Ideen, ihrer Kunst und ihrem beruflichen Können, mit ihrem Leid, ihrer Leidenschaft und ihren Extravaganzen rüttelten diese Menschen an der kolonialen Verschlafenheit des Landes. Einer von ihnen, ein katalanischer Freund meiner Familie, nahm mich einmal mit, um mir eine Linotype zu zeigen. Er war ein nervöser Hagerling mit dem Profil eines zornigen Raubvogels, der kein Gemüse aß, weil er meinte, das sei Futter für die Esel, und er war ganz versessen darauf, nach Spanien zurückzukehren, sobald Franco gestorben wäre, denn wie hätte er ahnen sollen, daß der noch vierzig Jahre leben würde. Von Beruf war er Buchdrucker, und er roch immer nach einer Mischung aus Knoblauch und Druckerschwärze.

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