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Mein erfundenes Land

Mein erfundenes Land

Titel: Mein erfundenes Land Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Isabel Allende
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Kennenlernen anwenden, wird in Chile als »sich einordnen« bezeichnet und entspricht dem, was Hunde tun, wenn sie einander das Hinterteil beschnüffeln. Seit dem Militärputsch von 1973, der einiges verändert hat, ist auch das »Sich einordnen« schwieriger geworden, denn nun muß man überdies in den ersten drei Minuten eines Gesprächs herausfinden, ob das Gegenüber für oder gegen die Diktatur war. Zur Zeit gesteht zwar kaum jemand offen ein, daß er dafür gewesen ist, es empfiehlt sich aber dennoch, die jeweilige politische Position zu eruieren, ehe man sich unmißverständlich äußert. Das geschieht auch unter Chilenen, die im Ausland leben, wo die Schlüsselfrage die nach dem Zeitpunkt der Auswanderung ist; vor 1973 bedeutet, die betreffende Person gehört zur Rechten und ist vor dem Sozialismus von Salvador Allende geflohen; zwischen 1973 und 1978 handelt es sich gewiß um einen politischen Flüchtling; aber danach könnte es auch ein »Wirtschaftsflüchtling« sein, also jemand, der auf der Suche nach Arbeitsmöglichkeiten emigrierte. Allerdings ist die Unterscheidung unter denjenigen, die in Chile geblieben sind, schwieriger, was daran liegen mag, daß sie gelernt haben, den Mund zu halten.

Sirenen mit Blick auf das Meer
    Den Landsmann, der zurückkehrt, fragt niemand, wo er gewesen ist oder was er gesehen hat; den Ausländer, der zu Besuch kommt, lassen wir umgehend wissen, daß unsere Frauen die schönsten der Welt sind, unsere Fahne einen mysteriösen internationalen Wettbewerb gewonnen hat und unser Klima idyllisch ist. Urteilen Sie selbst: Unsere Fahne sieht fast genauso aus wie die texanische, und bemerkenswert an unserem Klima ist vor allem, daß es während Dürreperioden im Norden mit Sicherheit im Süden Überschwemmungen gibt. Und wenn ich Überschwemmungen sage, dann meine ich biblische Sintfluten, die Hunderte von Toten, Tausende von Geschädigten und eine ruinierte Wirtschaft hinterlassen, jedoch das Getriebe der Solidarität wieder in Gang setzen, das in normalen Zeiten einzurosten pflegt. Wir Chilenen sind begeistert vom Ausnahmezustand. In Santiago sind die Temperaturen schlimmer als in Madrid, im Sommer bringt uns die Hitze, im Winter die Kälte um, aber niemand besitzt eine Klimaanlage oder eine Heizung, die den Namen verdient hätte, denn die kann man sich nicht leisten und sie wäre obendrein ein Eingeständnis, daß das Klima doch nicht so gut ist, wie allgemein behauptet. Wird die Luft zu angenehm, darf man sicher sein, daß die Erde wieder einmal beben wird. Wir zählen mehr als sechshundert Vulkane, in manchen ist die Lava früherer Ausbrüche noch nicht erkaltet; einige tragen poetische Mapuche-Namen: Pirepillán, Dämon des Schnees; Petrohué, Ort der Nebel. Ab und an wälzen sich diese schlafenden Riesen unter langem Grollen in ihren Träumen, dann ist es, als ginge die Welt unter. Erdbebenexperten behaupten, Chile werde früher oder später unter Lava begraben oder von einer gewaltigenFlutwelle, wie sie im Pazifik entstehen, auf den Grund des Meeres gerissen, aber ich hoffe, potentielle Touristen lassen sich davon nicht abschrecken, denn das muß ja nicht ausgerechnet während Ihres Besuchs passieren.
    Die Sache mit der weiblichen Schönheit bedarf eines gesonderten Kommentars. Dabei handelt es sich um ein rührendes Kompliment auf nationaler Ebene. Um ehrlich zu sein, habe ich im Ausland nie davon gehört, daß die Chileninnen so atemberaubend seien, wie meine Landsleute allenthalben versichern. Sie sehen nicht besser aus als die Venezolanerinnen, die sämtliche internationalen Schönheitswettbewerbe gewinnen, oder die Brasilianerinnen, die mit ihren Mulattinnenkurven an den Stränden entlangstolzieren, um nur zwei unserer schärfsten Konkurrentinnen zu nennen; aber im Volksglauben heißt es, seit unvordenklichen Zeiten würden die Seefahrer an unseren Gestaden von ihren Schiffen fliehen, betört von den Sirenen mit dem langen Haar, die dort wartend aufs Meer hinausschauen. Von diesem Hohenlied unserer Männer fühlen wir uns derart geschmeichelt, daß wir ihnen so manches nachsehen. Wie könnten wir ihnen böse sein, wo sie uns doch schön finden? Wenn ein Körnchen Wahrheit in alldem steckt, dann vielleicht, daß der Mischung aus Stärke und Koketterie kaum ein Mann zu widerstehen vermag, so heißt es zumindest, auch wenn ich das aus eigener Erfahrung nicht bestätigen kann. Freunde erzählen mir, das verliebte Spiel der Blicke, der Andeutungen, des Nachgebens und

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