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Mein erfundenes Land

Mein erfundenes Land

Titel: Mein erfundenes Land Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Isabel Allende
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angeheirateten Familie herumschlagen, in der sie nieganz akzeptiert wurde und die ihr das Leben bisweilen zur Hölle machte. Ich bedaure das, denn ohne sie wäre der Patriarch im Alter sehr einsam gewesen. Sie war eine hervorragende Hausfrau und Köchin; außerdem war sie herrisch, unermüdlich, sparsam und unfähig, den schrägen Sinn für Humor in meiner Familie zu begreifen. Unter ihrem Regiment wurden die ewigen Bohnen, Linsen und Kichererbsen aus der Küche verbannt; sie bereitete köstliche Gerichte zu, die von ihren Stiefkindern unter Chilisoße begraben wurden, ehe sie einen Bissen davon probiert hatten. Auch bestickte sie kunstvoll Handtücher, die von eben diesen Kindern dazu benutzt wurden, sich den Schlamm von den Schuhen zu wischen. Die Sonntagsessen mit diesen Barbaren müssen eine einzige Quälerei für sie gewesen sein, aber sie behielt die Tradition über Jahrzehnte bei, um uns zu beweisen, daß wir sie, einerlei, was wir taten, niemals bezwingen würden. In diesem Wettstreit des Willens hat sie uns um Längen geschlagen.
    Jene würdevolle Dame hatte keinen Anteil an der Komplizenschaft zwischen meinem Großvater und mir, aber wenn wir abends bei ausgeschalteten Lampen Horrorhörspiele im Radio hörten, saß sie mit uns zusammen und strickte ungerührt im Dunkeln, während wir vor Angst und vor Lachen fast vergingen. Der alte Mann hatte sich mit den Kommunikationsmitteln versöhnt und besaß ein vorsintflutliches Radio, das er alle Nase lang reparieren mußte. Mit Hilfe eines »Meisters« hatte er eine Antenne installiert und auch einige mit einem Metallrost verbundene Kabel gelegt, um Mitteilungen von Außerirdischen zu empfangen, weil meine Großmutter ja nicht mehr zur Hand war, um sie in ihren Sitzungen zu beschwören.
    In Chile gibt es die Institution des »Meisters«, wie wir jeden Kerl (niemals eine Frau) nennen, der eine Kneifzange und Draht sein eigen nennt. Arbeitet er mit primitivsten Mitteln, nennen wir ihn liebevoll »Meister Reisig«, andernfallsschlicht »Meister«, ein Ehrentitel vergleichbar mit »Herr Doktor«. Mit seiner Zange und dem Draht kann ein solches Männlein von einem simplen Handwaschbecken bis zu einer Flugzeugturbine alles reparieren; seine Kreativität und Kühnheit machen vor nichts halt. Während seines langen Lebens mußte mein Großvater nur selten einen solchen Spezialisten zu Rate ziehen, denn er konnte nicht nur jedweden Schaden selbst beheben, sondern stellte auch das dafür nötige Werkzeug her; aber im Alter, als er sich nicht mehr bücken und nicht mehr schwer heben konnte, hatte er einen »Meister«, der ihn besuchte, um mit ihm zusammen in den Pausen zwischen Gin und Gin zu arbeiten. In den Vereinigten Staaten, wo Arbeit teuer ist, hat die Hälfte der männlichen Bevölkerung eine Garage voller Werkzeug und lernt von Kindesbeinen an, wie man eine Gebrauchsanleitung liest. Mein Mann, von Haus aus Anwalt, besitzt eine Pistole, die Nägel verschießt, eine Maschine, die Steine schneidet, und eine andere, die durch einen Schlauch Zement speit. Unter den Chilenen war mein Großvater eine Ausnahme, weil von der Mittelklasse aufwärts niemand etwas mit einer Gebrauchsanleitung anzufangen weiß und man sich die Hände nicht mit Motoröl schmutzig macht; dafür gibt es die »Meister«, die mit einfachsten Mitteln und geringstem Aufwand die findigsten Lösungen ersinnen. Einmal sprach ich mit einem, der bei dem Versuch, ein Fenster wieder gangbar zu machen, aus dem neunten Stock gefallen und wie durch ein Wunder unverletzt geblieben war. Sich die geprellten Glieder reibend, bestieg er den Aufzug, um sich dafür zu entschuldigen, daß ihm der Hammer zerbrochen war. Einen Sicherungsgurt zu benutzen oder eine Entschädigung zu kassieren wäre ihm nie in den Sinn gekommen.
    Hinten im Garten meines Großvaters stand ein Häuschen, sicher ursprünglich für ein Dienstmädchen gedacht, in dem ich untergebracht wurde. Zum erstenmal in meinem Leben hatte ich einen Raum für mich und meine Ruhe, ein Luxus,nach dem ich süchtig wurde. Tagsüber lernte ich, und nachts las ich Science-fiction-Hefte, die ich gegen einige Centavos am Kiosk an der Ecke auslieh. Wie alle Halbwüchsigen im Chile jener Zeit lief auch ich, um Eindruck zu schinden, mit dem Zauberberg und dem Steppenwolf unter dem Arm herum; ich erinnere mich nicht, sie gelesen zu haben. (Chile ist wahrscheinlich das einzige Land, in dem Thomas Mann und Hermann Hesse ewige Bestseller sind, auch wenn mir rätselhaft ist,

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