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Mein erfundenes Land

Mein erfundenes Land

Titel: Mein erfundenes Land Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Isabel Allende
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»ón«, weshalb sich der Fremde vorkommen kann wie auf dem Marseiller Fischmarkt. Streckt einer wie zum Betteln die hohle Hand aus, ist das eine direkte Anspielung auf die Größe des Geschlechtsorgans des Widersachers; das sollte man wissen, damit man nicht versehentlich eine Münze hineinlegt.
    Mit meinem Großvater unternahm ich einige unvergeßliche Reisen an die Küste, in die Berge und in die Wüste. Zweimal nahm er mich zu den Schafweiden im argentinischen Patagonien mit, wahre Odysseen im Zug, im Jeep, auf Ochsenkarren und Pferderücken. Wir durchquerten die wundervollen urwüchsigen Wälder im Süden, in denen es immer regnet; wir fuhren über glasklare Seen, in denen sich die verschneiten Vulkane spiegeln; wir folgten verborgenen Schmugglerpfaden über die steile Kordillere der Anden. Jenseits des Passes empfingen uns argentinische Hirten, rauhe, schweigsame Männer mit geschickten Fingern und Gesichtern so gegerbt wie das Leder ihrer Stiefel. Wir schliefen unter denSternen, in schwere kastilische Decken gehüllt, mit dem Sattel als Kopfkissen. Die Hirten schlachteten ein Lamm und grillten es am Spieß; wir tranken Mate dazu, einen grünen und bitteren Tee, der in kleinen Kalebassen aufgebrüht wird und von Hand zu Hand geht, wobei alle durch dasselbe metallene Saugröhrchen trinken. Es wäre unhöflich gewesen, das Gesicht zu verziehen über das Mundstück voller Spucke und Kautabak. Mein Großvater glaubte so wenig an Keime wie an Gespenster, schließlich hatte er nie welche gesehen. Bei Sonnenaufgang wuschen wir uns mit eiskaltem Wasser und einer scharfen gelben Seife aus Schaffett und Ätznatron. Diese Reisen haben sich mir so tief eingeprägt, daß ich fünfunddreißig Jahre später jene Empfindungen und Landschaften ohne Zögern schildern konnte, als ich in meinem zweiten Roman, Von Liebe und Schatten , von der Flucht meiner Hauptfiguren erzählte.

Wirre Jahre der Jugend
    Als Kind und Jugendliche sah ich meine Mutter als Opfer, und so beschloß ich früh, daß ich nicht in ihre Fußstapfen treten wollte. Ich war als Frau geboren und hatte also offensichtlich Pech gehabt; ein Mann zu sein war bei weitem leichter. Das machte mich zur Feministin, lange bevor ich das Wort zum erstenmal hörte. Ich kann mich an keine Zeit erinnern, in der meine Entscheidungen nicht von dem Wunsch geleitet worden wären, unabhängig zu sein und mir von niemandem etwas vorschreiben zu lassen. Im Rückblick verstehe ich, daß meine Mutter ein schweres Los hatte und es sehr tapfer auf sich nahm, aber damals hielt ich sie für schwach, weil sie von Männern wie ihrem Vater und ihrem Bruder Pablo abhängig war, die das Geld und das Sagen hatten. Meine Mutter wurde nur beachtet, wenn sie krank war, also war sie es häufig. Später tat sie sich dann mit Onkel Ramón zusammen, der viele wundervolle Eigenschaften besitzt, aber ein Macho ist wie mein Großvater, meine Onkel und die Chilenen im allgemeinen.
    Ich fühlte mich eingeengt, gefangen in einem starren Korsett von Regeln wie wir alle damals und besonders die Frauen um mich her. Man konnte keinen Schritt außerhalb der Norm tun, ich mußte mich benehmen wie die anderen und durfte nicht auffallen, wenn ich mich nicht bis auf die Knochen blamieren wollte. Es wurde erwartet, daß ich die Sekundarstufe beendete, meinen Verlobten an der kurzen Leine führte, heiratete, ehe ich fünfundzwanzig war – danach war alles zu spät –, und schleunigst Kinder bekam, damit niemand auf den Gedanken käme, ich würde verhüten. Die famose Pille, verantwortlich für die sexuelle Revolution, war damals übrigens bereits erfunden, aber in Chilewurde darüber nur geflüstert; die Kirche hatte sie verboten, und man konnte sie nur bekommen, wenn man einen liberal eingestellten Arzt kannte, und selbst dem mußte man eine Heiratsurkunde vorlegen. Unverheiratete Frauen waren angeschmiert, denn nur wenige chilenische Männer sind so zuvorkommend, ein Kondom zu benutzen. In Reiseführern sollte den Touristinnen empfohlen werden, immer eins in der Handtasche zu haben, denn Gelegenheiten bieten sich reichlich. Für den Chilenen ist die Verführung jeder Frau im gebärfähigen Alter eine Pflicht, der er gewissenhaft nachkommt. Wenn meine Landsleute auch im allgemeinen miserable Tänzer sind, reden können sie sehr schön; sie haben als erste herausgefunden, daß der G-Punkt der Frau an den Ohren sitzt und es folglich Zeitverschwendung ist, ihn weiter unten zu suchen. Eine der besten Therapien für jede

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