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Mein erfundenes Land

Mein erfundenes Land

Titel: Mein erfundenes Land Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Isabel Allende
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entspringt
    Ich habe häufig gesagt, daß meine Sehnsucht nach daheim mit dem Militärputsch von 1973 begann, durch den sich mein Land so sehr veränderte, daß ich es nicht mehr wiedererkannte, doch tatsächlich muß sie viel früher eingesetzt haben. Meine Kindheit und Jugend waren von Reisen und Abschieden geprägt. Noch ehe ich an einem Ort Wurzeln geschlagen hatte, hieß es schon wieder, die Koffer zu packen und woandershin aufzubrechen.
    Ich war neun Jahre alt, als ich das Haus meiner Kindheit verließ und mich todtraurig von meinem Großvater verabschiedete. Damit mir die Fahrt nach Bolivien nicht lang würde, schenkte mir Onkel Ramón eine Weltkarte und eine Ausgabe der Gesammelten Werke von Shakespeare in spanischer Übersetzung, die ich hastig verschlang, etliche Male wiedergelesen habe und noch heute aufbewahre. Ich geriet in den Bann von eifersüchtigen Ehemännern, die ihre Frauen wegen eines Taschentuchs ermorden, von Königen, die ihren Feinden Gift ins Ohr träufeln, und von Liebenden, die sich das Leben nehmen, weil ihre Kommunikation mit Mängeln behaftet ist. (Wie anders hätte das Los von Romeo und Julia ausgesehen, hätten sie ein Telefon besessen!) Shakespeare eröffnete mir eine Welt von Geschichten voller Blut und Leidenschaft, ein gefährlicher Weg für uns Schriftsteller, die wir in der Epoche des Minimalismus leben müssen. An dem Tag, als wir im Hafen von Valparaíso ein Schiff nach Antofagasta bestiegen, um von dort aus mit dem Zug weiter nach La Paz zu fahren, bekam ich von meiner Mutter ein Notizbuch und den Rat, ein Reisetagebuch zu beginnen. Seither habe ich fast täglich geschrieben; es ist meine am tiefsten eingewurzelte Gewohnheit geworden.Während der Zug dahinrumpelte und die Landschaft sich wandelte, riß etwas in mir entzwei. Zwar war ich neugierig auf das Unbekannte, das vor meinen Augen vorbeizog, doch zugleich nistete sich eine tiefe Traurigkeit in mir ein. In den kleinen bolivianischen Dörfern, in denen der Zug hielt, kauften wir von den Indianerinnen in ihren bunten Wollröcken und schwarzen Bowlerhüten, wie man sie von englischen Bankiers kennt, Maiskolben, Hefebrötchen, köstliches Zuckerzeug und schwarze Kartoffeln, die aussahen wie vergammelt. Penibel wie ein Buchhalter notierte ich alles in meinem Heft, als hätte ich schon damals geahnt, daß mich nur das Schreiben in der Wirklichkeit verankern konnte. Durch die eingestaubten Scheiben sah die Welt verschwommen aus und verzerrt von der Eile der Reise.
    Diese Tage regten meine Phantasie an. Ich hörte Geschichten von Geistern und Dämonen, die in den verlassenen Dörfern umgingen, von Mumien, die aus entweihten Gräbern geraubt worden waren, von Bergen menschlicher Schädel, von denen manche fünfzigtausend Jahre alt sind und die heute in einem Museum liegen. Mit eigenen Augen sah ich erstmals diese Einöde, durch die die ersten Spanier im 16. Jahrhundert aus Peru nach Chile gekommen waren, und das war etwas anderes als die trockenen Lektionen im Geschichtsunterricht. Ich malte mir aus, wie eine Handvoll Recken in rotglühenden Rüstungen monatelang hier gewandert war, stellte mir ihre erschöpften Pferde vor, ihren von Trugbildern heimgesuchten Blick und ihr Gefolge von tausend gefangenen Indios, die Proviant und Waffen schleppten. Welcher Mut und wahnwitzige Ehrgeiz mußte sie zu dieser Strapaze getrieben haben. Meine Mutter las uns etwas über die untergegangenen Indianervölker der Atacamawüste vor und auch über die Quechua und Aymara, mit denen wir in Bolivien zusammenleben würden. Auch wenn ich es damals nicht ahnen konnte, begann mit dieser Reise mein Leben als Vagabundin. Das Tagebuch existiert noch, mein Sohn hates versteckt und will es nicht herausrücken, weil er weiß, daß ich es vernichten würde. Ich habe vieles bereut, was ich in meinen jungen Jahren geschrieben habe: haarsträubende Gedichte, tragische Geschichten, Selbstmordankündigungen, nie abgeschickte Liebesbriefe an unerreichbare Traumprinzen und vor allem dieses kitschige Tagebuch. (Vorsicht, wer auch immer an ein Leben als Schriftsteller denkt, sollte wissen: Nicht alles, was man schreibt, ist es wert, zu Nutz und Frommen der Nachwelt bewahrt zu werden.) Als sie mir jenes Heft gab, fühlte meine Mutter wohl voraus, daß ich meine chilenischen Wurzeln verlieren und in Ermangelung eines anderen Ortes auf dem Papier würde neue schlagen müssen. So begann mein Schreiben. Ich schrieb Briefe an meinen Großvater, an Onkel Pablo und an die

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