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Mein erfundenes Land

Mein erfundenes Land

Titel: Mein erfundenes Land Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Isabel Allende
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niedergeschlagene Frau ist die, an einer Baustelle vorüberzugehen und zu sehen, wie die Arbeit zum Stillstand kommt und sich etliche Männer über das Gerüstgeländer beugen, um ihr Komplimente zu machen. Die süßen Reden sind zu einer eigenen Kunstform geworden, und jedes Jahr findet ein Wettbewerb statt, in dem die besten Schmeicheleien in jeder Kategorie prämiert werden: klassisch, kreativ, erotisch, komisch und poetisch.
    Mir wurde von klein auf beigebracht, zurückhaltend zu sein und Tugend zu heucheln. Ich sage heucheln, denn was man heimlich tut, spielt keine Rolle, solange es nicht ruchbar wird. Wir Chilenen leiden an einer speziellen Form der Scheinheiligkeit: Wir entrüsten uns über jeden Fehltritt unserer Mitmenschen, begehen in den eigenen vier Wänden jedoch die schlimmsten Sünden. Offenherzigkeit finden wir etwas anstößig, lieber bemänteln wir alles und reden in Euphemismen (einem Säugling geben wir nicht die Brust, sondern ein »Breichen«; Folterungen sind »illegitime Druckmittel«). Wir halten uns zwar für wunder wie fortschrittlich, nehmen es aber klaglos hin, daß mache Themenals tabu gelten und nicht diskutiert werden können, sei es die Korruption (wir nennen sie »unstatthafte Bereicherung«) oder die Zensur von Filmen, um nur zwei Beispiele zu nennen. Früher durfte Anatevka nicht gezeigt werden; heute läuft Die letzte Versuchung Christi nicht, weil die Priester dagegen sind und katholische Fanatiker eine Bombe ins Kino schmuggeln könnten. Der letzte Tango in Paris lief erst, als Marlon Brando schon alt und wabbelig war und die gute Butter als Cholesterinbombe verpönt. Am stärksten ist noch immer die Sexualität tabuisiert, vor allem die weibliche.
    Einige fortschrittliche Familien schickten ihre Töchter auf die Universität, aber meine nicht. Meine Familie betrachtete sich zwar als intellektuell, doch im Grunde waren wir mittelalterliche Barbaren. Es wurde erwartet, daß meine Brüder einen Abschluß machten – möglichst als Juristen, Ärzte oder Ingenieure, sonstige Berufe waren nachrangig –, wohingegen ich mich mit einer eher dekorativen Arbeit begnügen sollte, bis mich Ehe und Mutterschaft ganz in Anspruch nähmen. Damals entstammten die wenigen Frauen, die eine akademische Ausbildung besaßen, fast ausschließlich der Mittelschicht, dem starken Rückgrat des Landes. Heute besuchen Mädchen aus allen Bevölkerungsteilen die Universität, und das allgemeine Bildungsniveau der Frauen liegt sogar über dem der Männer. Ich war keine schlechte Schülerin, aber da ich schon einen festen Freund hatte, kam niemand auf den Gedanken, ich könnte ein Studium beginnen, auch ich selbst nicht. Als ich die Schule mit sechzehn verließ, war ich verwirrt und unreif und hatte keine Vorstellung, was nun folgen sollte, obwohl mir immer klar gewesen ist, daß ich arbeiten mußte, weil Feminismus ohne wirtschaftliche Unabhängigkeit nichts taugt. Wie Großvater zu sagen pflegte: Wer zahlt, bestimmt. Ich fand eine Anstellung als Sekretärin in einer Unterorganisation der Vereinten Nationen, wo ich Forststatistiken auf große karierte Blätterübertrug. In meinen Mußestunden bestickte ich nicht etwa meine Aussteuerwäsche, sondern las lateinamerikanische Autoren und lieferte mir Wortgefechte mit jedem männlichen Wesen, das meinen Weg kreuzte, angefangen bei meinem Großvater und dem guten Onkel Ramón. Meine Rebellion gegen die Vorherrschaft der Männer wurde erbitterter, nachdem ich ins Arbeitsleben eingetreten war und bestätigt sah, welche Nachteile es hat, eine Frau zu sein.
    Und die Schriftstellerei? Nun, im stillen wünschte ich wohl schon damals, mich dem Schreiben zu widmen, hätte aber nie gewagt, ein solch vermessenes Vorhaben in Worte zu fassen, denn das hätte eine Spottlawine in meiner Umgebung ausgelöst. Niemand interessierte sich für das, was ich zu sagen, geschweige denn zu schreiben hatte. Bemerkenswerte Autorinnen hatte ich keine gelesen, abgesehen von zwei oder drei alten Jungfern aus dem England des 19. Jahrhunderts und unserer Nationaldichterin, Gabriela Mistral, die aber wie ein Mann wirkte. Schriftsteller waren gesetzte ältere Herren, unerreichbar und in der Mehrzahl tot. Persönlich kannte ich keinen einzigen, bloß diesen einen Onkel von mir, der mit dem Leierkasten durch die Straßen gezogen war und ein Buch über seine mystischen Erfahrungen in Indien geschrieben hatte. Im Keller stapelten sich Hunderte Exemplare dieses Wälzers, die mein Großvater wohl

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