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Mein erfundenes Land

Mein erfundenes Land

Titel: Mein erfundenes Land Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Isabel Allende
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eigenen Geschichtchen zum besten geben. Als er alt wurde, weigerte sich mein Großvater, ein Hörgerät zu benutzen, weil er es als den einzigen Vorteil seiner vielen Jahre ansah, daß er sich den Unsinn der anderen nicht mehr anhören mußte. General César Mendoza hat das 1983 auf den Punkt gebracht: »Der Begriff ›Dialog‹ ist heutzutage überstrapaziert. Oftmals ist ein Dialog nicht notwendig. Was not tut, ist ein Monolog, weil ein Dialog nichts weiter ist als eine Plauderei zwischen zwei Personen.« Später meinte dieser Philosoph dann noch: »Das Land lebt in organisierter Unordnung.« Meine Familie wäre völlig seiner Meinung gewesen.
    Wir Chilenen haben einen Hang zur Fistelstimme. Die Engländerin Mary Graham, die das Land 1822 bereiste, schreibt in ihrem Tagebuch meines Aufenthalts in Chile , die Leute seien entzückend, besäßen aber eine unangenehme Stimmlage, vor allem die Frauen. Außerdem verschlucken wir die Hälfte der Wörter, aspirieren das »S« und vertauschen Vokale und Konsonanten, so daß aus »cómo estás, pues« etwas wie »com tai puh« oder aus »señor« »iñol« wird. In Chile gibt es wenigstens drei Arten von Spanisch: die Hochsprache, die in den Medien und bei offiziellen Anlässen benutzt und von einigen Angehörigen der Oberschicht gesprochen wird, wenn sie nicht unter sich sind; die Alltagssprache, die man auf der Straße hört, und den sich ständig wandelnden, nicht zu entschlüsselnden Slang der Jugendlichen. Doch muß der ausländische Besucher daran nicht verzweifeln, denn auch wenn er kein Wort versteht, wird er doch sehen, daß die Leute sich beide Beine ausreißen, um ihm zu helfen. Außerdem reden wir leise und seufzen viel. Als ich in Venezuela lebte, wo Männer und Frauen sich ihrer selbst und ihres Terrains sehr sicher sind, waren meine Landsleute immer leicht daran zu erkennen, daß sie sich bewegten wie Spione in geheimer Mission und sprachen, als müßten sie sich fortwährend entschuldigen. Meinenersten Kaffee trank ich jeden Morgen in einem Stehcafé, das Portugiesen gehörte, und immer rangelte dort ein Pulk gehetzter Leute um einen Platz am Tresen. Die Venezolaner brüllten schon von der Tür aus: »Einen marroncito , ja!« und bekamen eher früher als später ihren Pappbecher mit Milchkaffee von Hand zu Hand durchgereicht. Wir Chilenen, damals zahlreich im Land, weil Venezuela als eins der wenigen lateinamerikanischen Länder Flüchtlinge und Einwanderer aufnahm, hoben einen zitternden Zeigefinger und fragten mit dünnem Stimmchen: »Entschuldigung, bitte, Señor, könnte ich vielleicht ein Kaffeechen bekommen?« Worauf wir einen geschlagenen Vormittag vergeblich warten konnten. Die Venezolaner spotteten über unsere affektierten Manieren, und wir fühlten uns von ihrer Ruppigkeit vor den Kopf gestoßen. Wer von uns mehrere Jahre in Venezuela verbrachte, war danach wie ausgewechselt und hatte unter anderem gelernt, seinen Kaffee schreiend zu bestellen.
    Da ich nun einiges über den Charakter und die Gepflogenheiten der Chilenen erklärt habe, werden die Zweifel meiner Mutter wohl verständlich: Wie war ich nur geworden, wie ich bin? Ich besitze nichts vom Anstand, von der Bescheidenheit und dem Pessimismus meiner Verwandtschaft; nichts von ihrer Furcht vor dem Gerede, vor der Verschwendung oder vor Gott; ich spreche und schreibe nicht in Diminutiven, trage eher dick auf und errege gern Aufmerksamkeit. Das heißt, so bin ich jetzt, nachdem ich lange gelebt habe. Als Kind war ich ein wunderliches Wesen, als Jugendliche ein scheues kleines Nagetier – jahrelang wurde ich »laucha« genannt, so heißen bei uns die verhuschten Hausmäuse –, und als junge Frau war ich alles mögliche, von der zornigen Feministin bis zum Hippiemädchen mit Blumen im Haar. Am übelsten nimmt man mir, daß ich eigene und fremde Geheimnisse ausplaudere. Kurz gesagt: eine Katastrophe. Würde ich in Chile leben, würde keiner mit mir reden. Aberzumindest bin ich gastfreundlich. Bei dieser einen Tugend hat meine Erziehung nicht versagt. Sie können zu jeder Tages- und Nachtzeit bei mir klingeln, und selbst wenn ich mir gerade den Oberschenkelhals gebrochen habe, eile ich herbei, um Sie hereinzubitten und Ihnen ein erstes »Teechen« anzubieten. In allem übrigen bin ich das glatte Gegenteil der Dame, die meine Eltern unter großen Opfern aus mir zu machen versuchten. Die beiden können nichts dafür, mir hat es schlicht an Rohmaterial gefehlt, und überdies hat mein Schicksal manche

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