Mein erfundenes Land
Sprache Shakespeares sein kann.
Wir schafften es, zwei Tage miteinander zu verbringen, dann mußte ich meine Reise fortsetzen, aber als sie beendet war, entschloß ich mich, für eine Woche nach San Francisco zurückzukehren, um zu sehen, ob ich ihn mir würde aus dem Kopf schlagen können. Das ist etwas sehr Chilenisches, jede meiner Landsfrauen hätte dasselbe getan. An zwei Punkten ist nicht mit uns zu spaßen: wenn wir unsere Kinder verteidigen und wenn wir uns einen Mann angeln wollen. Unser Nisttrieb ist sehr ausgeprägt, ein Liebesabenteuer genügt uns nicht, wir wollen ein Heim gründen und möglichstKinder haben. O Schreck! Als Willie mich sah, wie ich da unangemeldet vor seiner Tür stand, wollte er panisch das Weite suchen, was aber kein ernstzunehmendes Hindernis für mich ist. Ich stellte ihm ein Bein und bearbeitete ihn wie ein Preisringer. Am Ende sah er zähneknirschend ein, daß er keine bekommen würde, die einer großen Blondine ähnlicher wäre als ich, und wir heirateten. Das war 1987.
Um bei Willie bleiben zu können, war ich bereit, auf vieles zu verzichten, nicht jedoch auf meine Kinder und auf das Schreiben, und kaum daß ich meine Aufenthaltsgenehmigung hatte, machte ich mich daran, Paula und Nicolás nach Kalifornien zu verfrachten. Mittlerweile hatte ich mich in die Stadt San Francisco verliebt, die heiter ist, tolerant, offen und kosmopolitisch und – ganz anders als Santiago! San Francisco war 1849 von Glücksrittern, Huren, Händlern und Wanderpredigern gegründet worden, die mit dem Goldrausch kamen. Ich wollte über diese aufregende Zeit voller Habgier, Gewalt, Heldentum und Pioniergeist schreiben, sie war wie geschaffen für einen Roman. Mitte des 19. Jahrhunderts führte der sicherste Weg, um von der Ostküste der Vereinigten Staaten oder von Europa nach Kalifornien zu gelangen über Chile. Zwar mußten die Schiffe in einer gefahrvollen Odyssee die Magellanstraße oder Kap Horn passieren, doch bedrohlicher war der Landweg quer über den nordamerikanischen Kontinent oder durch die malariaverseuchten Urwälder der Landenge von Panama. Noch ehe sich die Nachricht von den Goldfunden in den Vereinigten Staaten verbreitet hatte, erfuhren die Chilenen davon und brachen in Massen auf, denn sie hatten eine lange Tradition als Schürfer und sind für Abenteuer immer zu haben. Wir haben sogar ein eigenes Wort für unseren Hang zum Weltenbummeln, wir sagen, wir sind »patiperros«, »hundepfötig«, weil wir wie streunende Hunde kreuz und quer einer Fährte folgen. Wir müssen raus, aber kaum haben wir die Kordillere überquert, beginnt das Vermissen, und am Endekehren wir immer zurück. Wir sind gute Reisende und miserable Auswanderer: Das Heimweh heftet sich an unsere Fersen.
Willies Leben und seine Familie waren chaotisch, aber anstatt wie jeder vernünftige Mensch das Weite zu suchen, stürmte ich »frontal und sehr chilenisch« drauflos, als hätte ich den Schlachtruf jener Soldaten vernommen, die im 19. Jahrhundert den Morro de Arica nahmen. Ich war entschlossen, mir um jeden Preis einen Platz in Kalifornien und im Herzen dieses Mannes zu erobern. Mit Ausnahme der Indianer stammen die Bewohner der Vereinigten Staaten samt und sonders von Einwanderern ab; an meinem Fall ist nichts außergewöhnlich. Das 20. Jahrhundert war das Jahrhundert der Einwanderer und Flüchtlinge, nie zuvor hatte die Welt solche Menschenströme gesehen, die auf der Flucht vor Gewalt oder Armut ihre Heimat verließen. Meine Familie und ich sind Teil dieser Diaspora; das klingt schlimmer, als es ist. Ich wußte, ich würde mich nicht vollständig assimilieren, ich war zu alt, um mich in dem vielbeschworenen Schmelztiegel der Gringos aufzulösen: Ich sehe aus wie eine Chilenin, ich träume, koche, liebe und schreibe auf spanisch, die meisten meiner Bücher schmecken unverkennbar nach Lateinamerika. Ich war überzeugt, daß ich mich niemals als Kalifornierin fühlen würde, aber darum ging es mir gar nicht, ich wollte bloß einen Führerschein haben und genug Englisch lernen, um in einem Restaurant etwas zu essen zu bekommen. Daß ich viel mehr erreichen würde, ahnte ich nicht.
Ich habe etliche Jahre gebraucht, um mich in Kalifornien einzuleben, aber es war ein Vergnügen. Daß ich das Land bereiste und seine Geschichte erforschte, als ich mit Der unendliche Plan ein Buch über Willies Leben schrieb, hat mir sehr dabei geholfen. Ich weiß noch, wie mich die unumwundene Art der Amerikaner am Anfang vor den
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