Mein Flirt mit der Blutfrau
Pein, eine Folter und eine Qual. Er hatte die Blutfrau gebeten und angefleht, es nicht zu tun, aber sie hatte sich nicht erweichen lassen.
In ihren Augen war Juan ein Verräter. Und Verräter tötete sie normalerweise sofort, doch bei Juan wollte sie es sich noch überlegen und gleichzeitig auf Nummer Sicher gehen.
»Du wirst hierbleiben, bis ich zurückkehre«, hatte sie ihm zum Abschied gesagt.
»Und wenn du nicht mehr kommst?«
Juan hatte keine Antwort auf diese Frage bekommen. Lavinia di Luna war lachend zwischen den Felsen verschwunden, wie ein Phantom, und bisher nicht zurückgekehrt.
Sie wußte, wo der zweite Eingang zu diesem Berggewölbe lag. Der Junge kannte ihn nicht. Überhaupt hielt sich an diesem Teil des Strandes kaum jemand auf.
Nicht, daß der Sand zuwenig oder zu flach gewesen wäre, nein, es gab einfach schönere Stellen, so daß dieser Flecken in Vergessenheit geraten war und selbst die Einheimischen nur selten herkamen. Sollte Lavinia di Lima tatsächlich Siegerin gegen John Sinclair bleiben, konnte es Tage, vielleicht sogar mehr als eine Woche dauern, bis man Juan fand.
Dann war er längst verdurstet, denn die Sonne brannte auch in diese bucht hinein.
Deshalb hoffte er, daß die Blutfrau zu ihm zurückkehren würde und Sinclair den Kampf verlor, so leid ihm dies auch tun würde, denn er mochte den blonden Mann. In diesem Fall mußte er mehr an sich selbst denken.
Juan rollte mit den Augen. Sandkörner wurden des öfteren hineingeweht. Er hatte angefangen zu weinen, und das Tränenwasser hatte den Schmutz wegspülen können.
Sie hatte ihn so eingegraben, daß er auf die anrollenden Wellen schauen konnte.
Zum Glück war es eine ziemlich windstille Nacht. Wäre der Wind stärker gewesen, was im Frühjahr öfter passierte, hätten ihn die Wellen längst erwischt und überspült.
So blieb ihm der kurze Abschnitt zwischen Strand und Wasser, der ihm aus seiner Sichtperspektive vorkam wie eine Dünenlandschaft. Die Angst nagte an ihm.
Sie war wie ein gefräßiges Tier, das nie satt wurde und ständig größeren Hunger bekam.
Sie nahm seine Seele gefangen, raubte ihm den Atem. Sie trieb ihm den Schweiß aus den Poren.
Juan erinnerte sich an einen Western. Da hatte man den Helden ebenfalls in den Sand eingegraben und zwei Tage in der Sonne schmoren lassen.
Im Film hatte der Held überlebt. Er würde dies nicht schaffen, das stand fest.
Wäre es ihm möglich gewesen, die Hände zu falten, hätte er gebetet. So aber konnte er sich nicht rühren, obwohl er versucht hatte, seine Arme auseinanderzudrücken.
Es ging nicht.
Der Sand war hart wie Beton. Nicht einmal die Finger konnte er krümmen und die Hände zu Fäusten ballen. Zu perfekt war das Gefängnis.
Wieviel Zeit vergangen war, konnte er nicht sagen. Die Sekunden und Minuten, die verrannen, kamen ihm doppelt so lange vor, und damit steigerte sich auch seine Furcht.
Erst jetzt wurde ihm drastisch bewußt, daß der Sand nicht so tot war, wie er immer aussah. Auch in ihm steckten Lebewesen. Flöhe, kleine Käfer, die in der Dunkelheit nicht schliefen und mit ihrem sicheren Instinkt den Schweißgeruch und die Ausdünstungen des Eingegrabenen wahrnahmen. Sie konzentrieren sich auf ihn.
Plötzlich umtanzten ihn Mücken. Sie setzten sich auf sein Gesicht, sie stachen zu, und auch Flöhe sprangen an ihm hoch. Sogar an der Oberlippe wurde er gestochen. Käfer und kleine Spinnen krabbelten ebenfalls hervor. Sie wirkten auf ihn übergroß. Längst nicht mehr so klein wie das Getier, das aus dem Mund der Blutfrau gekrochen war. Sie nahmen nicht den direkten Weg zu seinem Gesicht. Sie schlugen Bögen und Kurven, waren vorsichtig. Juan aber kam es vor, als wollten sie seinen Zustand bewußt verlängern.
Dann hatten ihn die ersten beiden Käfer erreicht. Dicht vor seinem Gesicht verharrten sie.
Juan verdrehte die Augen und schielte in die Tiefe. So konnte er auf ihre Panzer schauen.
Noch taten sie nichts. Sie warteten, sie lauerten, dann setzten sich die beiden Tiere plötzlich in Bewegung und überbrückten die letzte Entfernung bis zu seinem Kinn.
Als Juan die Berührung spürte, schrak er zusammen. Sofort bildete sich auf seinem Gesicht eine Gänsehaut, was die beiden Käfer nicht sonderlich störte, denn sie krochen an seinem Kinn in die Höhe und hatten die Unterlippe erreicht.
Juan vergaß seine eigentliche Urangst. Er konzentrierte sich mehr und mehr auf die beiden Käfer und hielt den Mund so fest zusammengepreßt wie eben
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