Mein Geliebter aus den Highlands
betteln schienen. Gerade fragte er sich, warum in ihren schönen Augen eine gewisse Traurigkeit lag, als er die Binden um ihre feingliedrigen Finger bemerkte.
»Was ist denn mit deinen Händen passiert, Mädchen?«, fragte er.
»Ach, ich fürchte, ich habe sie mir ein bisschen zerkratzt, als ich auf dem Boden herumgekrochen bin«, erwiderte sie. »So, wie sie jetzt sind, geht es ihnen gut. Wenn wir später Rast machen, werde ich mich eingehender darum kümmern. Also, was nun?«
Gregor beschloss, es vorläufig dabei zu belassen, und sah sich um. »Als Erstes sollten wir nachschauen, ob es einen Geheimgang nach draußen gibt. So etwas weisen die meisten alten Wohntürme auf. Damit könnten wir dieser Falle rascher entkommen. Wenn wir keinen finden, müssen wir versuchen, uns durch die Tore zu schleichen.«
»Ein sehr gefährlicher Weg«, murmelte Alana. »Aber es ist sicher nicht ratsam, hier länger zu verweilen.«
»Aye. Wir werden nicht allzu lange nach einem Geheimgang suchen können.«
Gregor fand eine weitere Fackel, entzündete sie und reichte sie Alana. Sie stand auf und begann sofort, die Wände des Raumes abzutasten. Wieder einmal zeigt sie sich als hervorragende Verbündete, dachte Gregor, während auch er sich daranmachte, nach einer Alternative zu der direktesten, aber auch gefährlichsten Route zu suchen. Sie mussten den Gowans nicht nur unbemerkt entkommen, sondern auch einen möglichst großen Vorsprung gewinnen, bevor ihre Flucht entdeckt wurde. Ohne Pferde würde das nicht leicht sein. Er fing an, in Gedanken langsam zu zählen. So konnte er ungefähr einschätzen, wie viel Zeit verstrich, während er sich vorsichtig in den dunklen Eingeweiden der Burg umsah. Er hörte, wie Alana Dinge beiseiteschob, aber sie bat ihn nicht um Hilfe. Deshalb konzentrierte er sich auf seine eigene Suche.
Als er beschlossen hatte, dass sie genug von ihrer allzu kostbaren Zeit vergeudet hatten, drehte er sich um und suchte Alana. Es beunruhigte ihn, dass er sie nicht sofort entdeckte. Seine Unruhe schwoll zur Panik an, doch dann tauchte sie plötzlich hinter einem Stapel Fässer auf.
»Was hast du gefunden?«, fragte er.
Alana packte ihn am Arm und zog ihn näher, sodass er einen Blick hinter die Fässer werfen konnte. »Unseren Fluchtweg.« Sie seufzte. »Ich fürchte, es ist kein richtiger Gang. Ich konnte nicht sehr weit hineinsehen. Wahrscheinlich müssen wir zwischen allen möglichen bösen Geschöpfen hindurchkriechen, die sich in solchen kaum benutzten Räumen einnisten. Aber wer vorgeht, kann ja die Lampe mitnehmen, die ich gefunden habe. Vielleicht hilft das ein wenig.«
»Aye. Die meisten – äh – bösen Geschöpfe fliehen vor dem Licht.«
Als Gregor den Gang hinter den zur Seite geschobenen Fässern begutachtete, musste er einen Fluch unterdrücken. Die Vorstellung, umgeben von Fels und Erde durch diesen Gang zu kriechen, behagte ihm gar nicht. Auch er selbst mied enge, geschlossene Räume immer nach Kräften. Aber sie hatten keine andere Wahl, als diese Chance beim Schopf zu ergreifen. Es konnte gut sein, dass dieser Weg sie unbemerkt aus der Burg führen würde. Dennoch würde es die reine Folter werden. Selbst mit der Laterne würde es so dunkel sein, dass Alana es mit der Angst zu tun bekommen würde.
»Wir sollten jetzt los«, meinte Alana.
Er hörte das Zögern in ihrer Stimme und teilte es aus ganzem Herzen. »Ich hatte auf etwas Geräumigeres gehofft«, sagte er, während er die Laterne entzündete.
Etwas, das einen nicht so deutlich an ein Grab erinnert, dachte sie.
»Hoffen wir, dass die Gowans ihn besser instand gehalten haben als die übrige Burg«, brummte er und reichte ihr die Laterne. Dann löschte er die Fackeln.
Alana hatte nach einem kurzen Blick in den Gang gezögert, Gregor davon zu erzählen. Ihr graute unendlich davor, aber natürlich wollte sie auch nicht hierbleiben. Es blieb ihr wohl nichts anderes übrig, als noch ein Weilchen tapfer zu sein.
Gregor bildete die Vorhut. Alana folgte ihm und zog die kleine Tür hinter sich zu. Einen Moment lang schnürte ihr Panik die Kehle zu. Es gelang ihr, sie zu bezwingen, indem sie sich sagte, dass das womöglich der einzige Weg in die Freiheit war. Und diese Chance wollte sie sich nicht von ihrer Schwäche rauben lassen.
Als Gregor sich vorwärts bewegte, kroch sie ihm rasch hinterher, schon allein deshalb, um in dem kleinen Lichtkreis zu bleiben. Nur dank dieses Lichtes und Gregors Anwesenheit konnte sie ihre Ängste zügeln.
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