Mein Geliebter aus den Highlands
nichts mehr vormachen. Sie jagt mir Angst und Schrecken ein. Und was Euren Fluchtplan angeht – auf Euren Schultern zu stehen und zu versuchen, einen Weg nach draußen zu finden, ist eine gute Idee, und ich werde mein Bestes tun. Aber der Gedanke, wie hoch ich dann stehe, macht mir auch Angst. Außerdem kann ich die Kälte und die Feuchtigkeit kaum noch ertragen. Sie geht mir durch Mark und Bein. Jedes Mal, wenn diese Narren fragen, ob ich ihnen meinen Namen nennen will, muss ich darum kämpfen, Nay zu sagen. Ein Teil von mir will laut herausschreien, wer ich bin, ihnen den Weg zu meinen Leuten in allen Einzelheiten schildern und sie antreiben, dass sie sich beeilen sollen. Und dieser Teil wird jeden Tag stärker. Ich bin feige.«
Gregor musste sich abermals ein Lachen verkneifen, als er sich neben sie setzte und den Arm um ihre schmalen Schultern legte. Sie klang, als ärgere sie sich grün und blau über sich selbst. Das konnte er gut verstehen; denn auch er hatte in den Tagen, als sie noch nicht da war, gegen seine Ängste ankämpfen müssen. Wenn man im Dunkeln saß und nichts zu tun hatte, kam man unweigerlich an den Punkt, dass man über sich nachdachte und sich schonungslos betrachtete. Vermutlich würde kaum jemand in einer solchen Lage auf Dauer gelassen bleiben.
»Ich glaube, viele Leute fühlen sich im Dunkeln und in der Höhe unbehaglich«, sagte er. »Das sind Ängste, mit denen wir alle zur Welt kommen und die wir nie völlig loswerden. Es ist nicht schlimm, wenn man Angst hat. Man darf sich nur nicht davon beherrschen lassen. Und was die Kälte und die Feuchtigkeit angeht – auch diese Gefühle sind völlig natürlich. Mir geht es genauso, auch ich bin es wahrhaftig leid.«
»Ihr seid schon länger hier als ich.«
»Aber ich habe auch viel mehr Muskeln, die der Kälte Widerstand leisten. Es dauert viel länger, bis sie sich bis zu meinen Knochen durchgebissen hat. Aber mittlerweile spüre auch ich sie dort. Nay, Mädchen, du bist kein erbärmlicher Schwächling. Du hast kein einziges Mal geweint, und ich musste dir auch keine Ohrfeige geben, um dich zur Vernunft zu bringen. Und außerdem beklagst du dich auch nicht unablässig.«
Alana blieb stumm. Sie drückte sich noch ein wenig fester an ihn. Nur der Wärme wegen, sagte sie sich. Sie wusste nicht, ob sie seinen freundlichen Versicherungen glauben konnte. Tröstlich waren sie trotzdem. Sie stand oft kurz davor, laut zu schreien und sich die Haare zu raufen, aber seine Anwesenheit half ihr, sich zu beherrschen. Doch das wollte sie ihm lieber nicht sagen. Es wäre nicht fair, die Last einer solchen Verantwortung auf seine Schultern abzuladen, und seien sie noch so breit. Und vielleicht war ihre Anwesenheit ja auch ihm eine Hilfe.
Einen Moment lang wünschte sie sich, sie wäre zu Hause geblieben. Doch sie hatte einfach nicht länger auf eine Nachricht von ihrer Schwester warten können. Sie hatten erfahren, dass Keira zur Witwe geworden und ihre Burg von einem Mann eingenommen worden war, dessen schlechter Ruf weithin bekannt war. Danach hatten sie monatelang nichts mehr von ihr gehört. Sie hatte es einfach nicht mehr ausgehalten. Jeder Tag, an dem von Keira nichts zu sehen oder zu hören war, hatte die Angst um ihre Schwester wachsen lassen. Sie hatten nur immer mehr üble Gerüchte vernommen. Lediglich das Gefühl, dass Keira noch am Leben war, und ihre Träume hatten Alana davon abgehalten, blindlings loszustürmen. Doch am Ende konnte sie einfach nicht mehr anders: Sie musste ihre Zwillingsschwester suchen.
Stirnrunzelnd erkannte sie, dass sie nicht mehr von Keira geträumt hatte, seit sie sich an die Verfolgung ihrer Brüder gemacht hatte. Doch selbst, wenn das ein schlechtes Zeichen war, konnte sie einfach nicht glauben, dass Keira tot war. Sie fühlte sich noch immer zu ihrer Schwester hingezogen. Sobald sie frei war, würde sie schon wieder spüren, welche Richtung sie einschlagen musste. Diese Anziehungskraft war allerdings das Einzige, was von der starken Verbindung zwischen ihr und Keira geblieben war. Auf einmal fühlte sich Alana schrecklich einsam und drückte sich noch enger an Gregor.
»Hast du Kummer, Mädchen?«, fragte er.
»Nay, eigentlich nicht«, schwindelte sie. Sie wusste noch immer nicht, ob sie ihm sagen sollte, warum sie allein unterwegs gewesen und damit zu solch einer leichten Beute für die Gowans geworden war. »Die Chance, zu entkommen, ist so verlockend, dass ich Angst habe, zu stark daran zu
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