Mein glaeserner Bauch
Kindern mit Down-Syndrom kaum mehr Angst, Schuldgefühle oder emotionalen Stress erleben als die Mütter gesunder Kinder. 140
Wenn also nicht alle Mütter von Kindern mit Down-Syndrom psychisch äußerst schwer belastet sind, wie ist es dann zu erklären, dass in der Regel die Diagnose Trisomie 21 automatisch zu einer medizinischen Indikation für den Abbruch der Schwangerschaft führt? Eine Indikationsstellung, die laut Gesetz nur bei Lebensgefahr oder der Gefahr einer schwerwiegenden Beeinträchtigung des körperlichen oder seelischen Gesundheitszustandes der Schwangeren anzuwenden ist. Wer definiert hier die Realität? Wer macht Schwangeren Angst vor ihren ungeborenen Kindern? Ist es vielleicht doch eher das gesellschaftliche Klima, die mangelnde Wertschätzung und Akzeptanz von Behinderten, die es Betroffenen so schwer machen?
Obwohl auch Deutschland 2009 die UN -Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderungen unterzeichnet hat, besuchen hierzulande nur zwanzig Prozent aller behinderten Kinder die Regelschule, während im europäischen Durchschnitt etwa achtzig Prozent in Regelschulen integriert sind. So sieht sie bei uns leider noch aus, die Integration behinderter Kinder in Schule und Gesellschaft.
Ute Erdsiek-Rave, die Vorsitzende des Expertenkreises Inklusive Bildung der Deutschen UNESCO -Kommission, sagte dazu in einem Interview: »Ich glaube, es muss sich wirklich ein Bewusstsein ändern. In Deutschland ist es einfach noch nicht selbstverständlich, dass Behinderte zu uns gehören, mitten in die Gesellschaft gehören, ins Arbeitsleben gehören. Und wie soll sich das jemals ändern, wenn Kinder von klein auf abgetrennt in gesonderte Einrichtungen geschickt werden?« 141
Es gibt nicht nur die eine, richtige Lösung, und es gibt für wichtige Entscheidungen keine allgemein verbindlichen Tipps und Tricks. Die Frage, in welcher Lebenssituation sich Menschen befinden und welches Selbstbild sie von sich haben, ist eine wichtige Grundlage ihrer Entscheidung.
Seit mehr als fünfzehn Jahren bin ich Supervisorin und Beraterin. Meine Beratungsarbeit hat in den vergangenen Jahren immer wieder Menschen in Krisensituationen in meine Praxis und in meine Seminare geführt. Oftmals sind es Menschen, die an einem Wendepunkt in ihrem Leben stehen und die über einen Beratungsprozess eine langfristig tragfähige Entscheidung vorbereiten wollen.
Wenn wir im Prozess den Punkt erreichen, an dem die persönliche Geschichte dieser Menschen und ihre Werte ins Spiel kommen, wird die Arbeit immer spürbar dichter, fruchtbarer und lebendiger. Kreativität und die Fähigkeit, Lösungen für vorher scheinbar unlösbare Konflikte zu finden, nehmen dann auffallend zu. Menschen wieder in Kontakt zu bringen mit ihren eigenen Kräften, ihrer ureigensten Fähigkeit, die für sie richtige Entscheidung zu treffen, gehört für mich zu den zentralen Aufgaben von Beratung.
Psychosoziale Beratungsangebote sind auch für Schwangere extrem wichtig und sollten vor allem von Frauen nach auffälligen vorgeburtlichen Befunden genutzt werden. Aber – und davon bin ich inzwischen überzeugt – sie reichen nicht aus zur Unterstützung werdender Eltern. Zur Beratung von Schwangeren muss schon in der gynäkologischen Praxis das Angebot gehören, sich als Schwangere gegen Pränataldiagnostik entscheiden zu können.
Eine Entscheidung für oder gegen Pränataldiagnostik müssen schwangere Frauen selber treffen. Aber die stillschweigende Übereinkunft in unserer Gesellschaft, »Ein Kind mit Down-Syndrom muss doch nicht sein«, sollte endlich einem respektvollen, unterstützenden Umgang mit Menschen weichen, die sich für ihr Kind entscheiden.
Mehr Information und Aufklärung ist in jedem Fall erforderlich, um die herrschende gesellschaftliche Praxis zu ändern: den Automatismus weitgehend unreflektierter Pränataldiagnostik.
DANKSAGUNG
Die Arbeit an diesem Buch hat sich lange hingezogen, von der Aufzeichnung persönlicher Erinnerungen an mein schmerzliches Geheimnis bis zu der vorliegenden Fassung, die auch das Wissen und die Erfahrung anderer mit einbezieht. Ohne diese vielfältigen Quellen hätte ich nicht wirklich verstanden, was geschehen ist. Herzlich danken möchte ich allen, die mich auf dem Weg der Erkenntnis ein Stück begleitet und die mich unterstützt haben. Reinhold Denich stellte mir mit seinem Jahrmarktswagen ein wunderbares Refugium für den Beginn der Reise zur Verfügung. Mein Bruder Dirk Hey half mir mit allen Fragen rund
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