Mein glaeserner Bauch
– oder ist das nicht nur die Konsequenz aus dem Angebot, das Frauen vorher durch Pränataldiagnostik bekommen, eine Zumutung, die gesellschaftlich an sie herangetragen wird? Haben wir nicht tatsächlich inzwischen eine ›Allianz zur Selektion‹, nie so ausgesprochen, das Wort ist zu sehr negativ besetzt, aber gesellschaftlich toleriert und von den Ärzten und Ärztinnen umgesetzt?« 130
Schwangeren wird zwar laut Gesetzen und Richtlinien die Entscheidung überlassen, ob sie nach einem auffälligen Befund ihr Kind austragen wollen oder nicht. Aber welche Wahl haben sie dann noch, wenn von allen Schwangeren erwartet wird, sich pränataldiagnostisch untersuchen zu lassen? Wenn es selbstverständlich ist, ihren Körper mit dem ungeborenen Kind der unmenschlichen Logik eines pränatalen Selektionsbetriebes auszuliefern? Mit dem Ersttrimester-Screening, mit Chip-Diagnostik und was immer der Markt sonst noch bereitstellt und bereitstellen wird. Mit invasiven Tests, die der Frau und dem Ungeborenen mit langen Nadeln auf den Leib rücken.
Allein schon der Begriff Diagnostik ist irreführend, denn in den meisten Fällen der etwa siebzigtausend invasiven pränataldiagnostischen Eingriffe, die jedes Jahr in Deutschland durchgeführt werden, folgt aus der Diagnostik keine therapeutische Konsequenz für das ungeborene Kind. Und gleichzeitig werden dabei mindestens siebenhundert Fehlgeburten gesunder Kinder in Kauf genommen.
Werdende Eltern sollen heute technologisch ermittelten Entwicklungsprognosen vertrauen, obwohl diese niemals konkrete, erlebte Wirklichkeit beschreiben können. Sie sollen selber Schicksal spielen, um zu beweisen, dass sie bereit und in der Lage sind, Verantwortung für ihr Schicksal zu übernehmen. Alles andere wird allzu häufig als verantwortungslos oder als mangelnde Einsicht gewertet.
Immer mehr kommt es für den Einzelnen darauf an, optimal zu funktionieren. Der moderne Mensch muss sich ständig zwingen zum Handeln, sieht sich genötigt, Vorsorge und Selbstoptimierung zu betreiben. Anpassung an äußere Umstände durch Selbstmanagement, egal welche Auswirkungen dies für ihn hat. Der Wunsch, trotzdem offen zu sein für ein Kind, das nicht einer vorgeburtlichen Qualitätskontrolle unterzogen wird, gilt unter solchen Prämissen als geradezu naiv. Als unverantwortlich.
In einer Gesellschaft, in der ein Mensch sich ständig selbst optimieren soll, als Unternehmer seiner selbst gilt, passt natürlich nur ein Kind in die Familie, das auch zukünftigen Optimierungsansprüchen unterworfen werden kann. Nur allzu deutlich wird eine solche Haltung in den zitierten Studien über die Mehrkosten, die Menschen mit Down-Syndrom angeblich verursachen. Und vor allem dort, wo diese Berechnungen einen zu erwartenden Produktivitätsausfall beinhalten. Menschliches Leben unter dem Gesichtspunkt einer Kosten-Nutzen-Analyse. Wer nicht arbeitet soll auch nicht leben?
Wenn Menschen schon Angst haben müssen, aus dem Arbeitsprozess herauszufallen, weil sie nicht mehr jung und fit genug sind für die immer höheren Anforderungen, das immer schnellere Tempo, dann ist die Bedrohung für das Lebensrecht eines behinderten Kindes besonders groß. Wenn ökonomisches Denken die sozialen Beziehungen bestimmt, wenn Familien zum Ort ökonomischer Austauschprozesse werden, dann hat eine Schwangere vermutlich kaum Chancen, sich den unmissverständlichen Erwartungen an sie zu entziehen. Es sei denn, sie ist extrem eigenwillig oder tief gläubig.
Frauen, die sich auf ihre Religion berufen, sind meistens die einzigen, deren Entscheidung halbwegs respektiert oder zumindest als verständliche, wenn auch randständige Haltung toleriert wird.
Doch oft werden jegliche ethischen Bedenken gegen den Einsatz von Pränatalmedizin von fortschrittsgläubigen Ärzten abgewertet, selbst dann, wenn diese von Vertretern der Kirchen geäußert werden. Abzulesen an veröffentlichten Medizinerstimmen, die den »Triumph für die biomedizinische Forschung« herbeiwünschen: »Die Einsprüche und Bedenken der Moralisten aller Konfessionen können den wissenschaftlichen Fortschritt allenfalls verzögern, aber ihn nicht aufhalten. Der ethische Diskurs ist ein Faktum, er mag die Forschung begleiten, aber er soll sie nicht behindern.« 131
Ein Professor an einer deutschen Klinik, Spezialist für Reproduktionsmedizin, wird noch deutlicher:
Ich plädiere dafür, Fragen der medizinischen Ethik nicht in die Hände von Nichtmedizinern zu legen. Diejenigen, die
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