Mein glaeserner Bauch
eine Entwicklung vorantreiben, sind verantwortlich für deren Richtung, denn nur sie kennen die Möglichkeiten, die in dieser Entwicklung stecken. Diese Wissenschaftler müssen sich über die ethischen Auswirkungen ihrer Technik Gedanken machen. Die Delegation an Ethiker gleich welcher Herkunft, die sich mühsam mit der Anwendung solcher Techniken vertraut machen müssen, bedeutet fast immer einen Schritt zurück. Es bedeutet auch, wichtige Aspekte der Wissenschaft aus der Hand zu geben. 132
Eine autoritäre und zutiefst antidemokratische Haltung, wie mir scheint. Ich gehe davon aus – oder hoffe es zumindest –, dass die zitierten Mediziner in dieser Schärfe selbst eine randständige Position innerhalb ihrer Berufsgruppe ausmachen.
Peter Radtke ist seit 2003 Mitglied des Deutschen Ethikrates. Er formulierte seinen Standpunkt zu Pränataldiagnostik in einem Vortrag vor Ärzten, Hebammen und Krankenschwestern folgendermaßen: »Ich bin kein Idiot. Es liegt mir fern, Behinderung zu glorifizieren, aber ich glaube sehr wohl, dass sie in unserem Wertesystem berechtigterweise einen festen Platz einnimmt und nicht ohne nachteilige Auswirkungen eliminiert werden kann, soweit dies überhaupt in Wirklichkeit möglich ist.« 133
Peter Radtke lebt seit seiner Geburt mit einer schweren Behinderung, der sogenannten Glasknochenkrankheit. Er ist promoviert und hat sich nicht nur als Schriftsteller und Schauspieler behauptet, sondern auch an Aufbau und Geschäftsführung mehrerer Organisationen beteiligt, die für die Interessenvertretung von Menschen mit Behinderungen eintreten.
Auch der Soziologe Ulrich Beck schrieb schon 1988 in einem Spiegel -Essay zum Thema Eugenik der Zukunft, es sei mehr als eine sprachliche Unkorrektheit, wenn immer davon die Rede ist, dass man die Erbkrankheiten bekämpfen will. Tatsächlich, so Beck, werden auf diese Weise die Erbkranken abgeschafft, also Menschen, die ihr Leben und Erleben gewiss nicht auf dieses eine Merkmal reduziert sehen wollten. Und er fährt fort: »Mit Krankheitsetiketten werden im Zuge rasanter Fortschritte der pränatalen Diagnose im Zusammenwirken mit legalisierter Abtreibung menschliche Existenzweisen technisch verfügbar. Wer von ›genetischen Erbkrankheiten‹ redet, betreibt objektiv – auf einem ungleich eleganteren und effektiveren Weg – die Sache der Eugenik.« 134
Zwar sind nach dem neuen Schwangerschaftskonfliktgesetz Ärztinnen und Ärzte verpflichtet, bei auffälligen vorgeburtlichen Befunden auf psychosoziale Beratungsangebote hinzuweisen und an entsprechende Einrichtungen zu vermitteln. Um den Informationsstand Schwangerer zu verbessern, müsste aber noch weit mehr geschehen. Denn schon die Entscheidung, ob man Methoden der Pränataldiagnostik in Anspruch nehmen will, setzt eine differenzierte Auseinandersetzung mit der Thematik und die Kenntnis der möglichen Konsequenzen voraus.
Schon im Vorfeld des Gendiagnostikgesetzes wurde im Bericht der Enquetekommission Recht und Ethik der modernen Medizin von 2002 an den Deutschen Bundestag darauf hingewiesen, dass eine Schwangerschaft kein optimaler Zeitpunkt ist, um sich mit der gesamten Problematik von pränataler Diagnostik zu beschäftigen. 135
Wie eine repräsentative Befragung Schwangerer zum Thema Pränataldiagnostik belegt, besteht zwar großer Bedarf an qualifizierter und umfassender Information. 136 Doch werden Themen, die mit negativen Gefühlen verbunden sind oder die Angst erzeugen, verständlicherweise von Schwangeren aus Selbstschutz möglichst ausgeblendet.
Da also Schwangere mit diesem Thema hoch ambivalente Gefühle verbinden, und darüber hinaus die technischen Details der Verfahren für Laien oft schwer verständlich sind, neigen die meisten Schwangeren dazu, ihre Entscheidung, ob sie Pränataldiagnostik in Anspruch nehmen sollen, an Fachleute zu delegieren. Als langjährige Begleiter und Ansprechpartner der Frauen zählt selbstverständlich das Wort und der Rat der Gynäkologen – gerade wenn Verunsicherungen und Ängste die Zeit der Schwangerschaft überschatten.
Mediziner tendieren allerdings dazu, ihren Patientinnen Pränataldiagnostik nahezulegen – um sich rechtlich abzusichern, aber auch aus ökonomischen Gründen. Meistens sprechen sie ihre Empfehlung aus, ohne über das psychische und ethische Konfliktpotenzial aufzuklären. Und vor allem erwähnen sie oft nicht, wie schwierig es ist, zutreffende Aussagen über Schweregrad und Ausprägung eines auffälligen Befundes zu machen.
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