Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Mein Herz so weiß

Mein Herz so weiß

Titel: Mein Herz so weiß Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Javier Marías
Vom Netzwerk:
untergebracht, durch Einfluss meiner Familie, um zu sehen, ob es mir gefiel, ich war ein Leichtfuß, bis ich Teresa kennenlernte, oder besser gesagt, bis ich Juana heiratete.« Er hatte gesagt ›Leichtfuß‹, und ich war sicher, dass es ihn trotz des Ernstes, mit dem er sprach, in diesem Augenblick amüsiert hatte, dieses ungebräuchlich gewordene Wort auszusprechen, wie es ihn amüsiert hatte, mich am Tag meiner Hochzeit, während der Feier, ›Schürzenjäger‹ zu nennen, während Luisa mit einem früheren Freund sprach, der mir unsympathisch ist, und mit anderen Leuten – vielleicht Custardoy, vielleicht Custardoy, ich sah ihn kaum im Kasino, nur von weitem, wie er sich gierig umschaute –, und ich mich ein paar Minuten lang von ihr getrennt sah durch meinen Vater, der mich in einem Zimmer zurückhielt, um mir zu sagen: ›Und was jetzt?‹, und nach einer Weile zu sagen, was er wirklich wollte: ›Wenn du einmal Geheimnisse haben wirst oder sie jetzt schon hast, dann erzähl sie ihr nicht.‹ Jetzt erzählte er seines, erzählte es gerade ihr, vielleicht um zu verhindern, dass ich ihr meine erzähle (was für Geheimnisse habe ich denn, vielleicht das mit Berta, das in Wirklichkeit nicht meines ist, vielleicht das mit meinem Verdacht, vielleicht das mit Nieves, meiner alten Liebe aus dem Papierwarengeschäft) oder dass sie mir ihre erzählt (was für Geheimnisse hat sie denn, ich kann es nicht wissen, wenn ich es wüsste, wären sie keine). ›Vielleicht erzählt Ranz jetzt sein jahrelang gehütetes Geheimnis, damit wir uns nicht die unseren erzählen‹, dachte ich, ›die vergangenen und die gegenwärtigen und die künftigen, oder damit wir danach trachten, keine haben zu müssen. Aber ich bin heute heimlich nach Hause gekommen, ohne mich anzukündigen oder indem ich glauben machte, ich käme morgen, und Luisa hütet vor Ranz das Geheimnis, dass ich hier bin, liegend oder am Fußende des Bettes sitzend, vielleicht zuhörend, sie muss mich gesehen haben, andernfalls ist es nicht erklärbar, dass die Tagesdecke und die Decke und das Laken umgeschlagen waren, um mich ein wenig zuzudecken.‹
    »Gibst du mir bitte noch ein bisschen Whisky?«, hörte ich meinen Vater jetzt sagen. Ranz trank also Whisky, ein Getränk, dessen Farbe ähnlich der Farbe seiner Augen ist, wenn kein Licht sie trifft, jetzt befanden sie sich gewiss im Halbdunkel. Ich hörte das Geräusch des Eiswürfels, der in ein Glas und ein anderes fiel, auch das des Whiskys, dann das des Wassers. Vermischt mit Wasser wäre die Farbe nicht mehr so ähnlich. Vielleicht standen die Oliven aus dem Eisschrank auf dem kleinen niedrigen Tisch in unserem Wohnzimmer, er war eines unserer ersten Möbelstücke, die wir gemeinsam gekauft hatten, und eines der wenigen, das in dieser ganzen Zeit, seit unserer Hochzeit, nicht seinen Platz gewechselt hatte, es war oder ist noch kein Jahr her. Plötzlich bekam ich Hunger, gern hätte ich einige Oliven gegessen, am besten gefüllte. Mein Vater fügte hinzu: »Danach gehen wir essen, nicht wahr? Egal, was ich dir erzähle, wie geplant. Na ja, ich habe dir schon fast alles erzählt.«
    »Natürlich gehen wir essen«, antwortete Luisa. »Ich halte meine Verabredungen ein.« Es stimmte, dass sie ihre Verabredungen einhielt und einhält. Sie kann lange zögern, aber wenn sie sich entscheidet, dann hält sie sich daran, darin ist sie eine angenehme Frau. »Was passierte dann?«, sagte sie, und das ist die Frage, die Kinder stellen, selbst wenn die Geschichte schon zu Ende ist.
    Jetzt hörte ich deutlich das Geräusch von Ranz’ Feuerzeug (das Gehör gewöhnt sich allmählich daran, alles aufzunehmen von dem Ort aus, an dem es zuhört), also mussten seine Hände vorher verschränkt und müßig gewesen sein.
    »Es passierte, dass ich Teresa kennenlernte und Juana und ihre kubanische Mutter, die schon ihr ganzes Leben in Spanien lebte. Sie hielten sich eine Zeit lang in Kuba auf wegen einer Sache mit entfernten Erbschaften und Verkäufen, eine Tante der Mutter, die gestorben war, ich hätte nicht gedacht, dass Villalobos sich an so vieles erinnert (›Luisa muss ihm gesagt haben‹, dachte ich: ›Villalobos hat uns dies und das erzählt, was ist Wahres daran?‹). Wir haben uns sehr rasch geliebt, ich war schon verheiratet, wir haben uns ein paarmal heimlich gesehen, aber das war traurig, sie wurde traurig, sie sah überhaupt keine Möglichkeit, und dass sie keine sah, machte mich traurig, mehr als die Tatsache, dass es

Weitere Kostenlose Bücher