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Mein Herz so weiß

Mein Herz so weiß

Titel: Mein Herz so weiß Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Javier Marías
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allen unbekannt war. Dass es ein Geheimnis war. Was hätte ich für ein Leben gehabt, wenn man es gewusst hätte. Vielleicht hätte ich danach überhaupt kein Leben gehabt.«
    »Was war die Erklärung? Ein Feuer?«, insistierte Luisa, die meinen Vater nicht zu sehr abschweifen ließ. Ich zündete eine weitere Zigarette an, dieses Mal mit der Glut der vorherigen, ich hatte Durst, ich hätte mir gerne die Zähne geputzt, ich konnte nicht in das Badezimmer hinübergehen, obwohl ich mich in meiner eigenen Wohnung befand, ich war heimlich da, mein Mund fühlte sich wie betäubt an, vielleicht durch den Schlaf, vielleicht durch die Anspannung der Reise, vielleicht weil ich seit einer Weile die Kiefer aufeinanderpresste. Als ich es merkte, hörte ich einen Augenblick auf, es zu tun.
    »Ja, es war das Feuer«, sagte er langsam. »Wir lebten in einem kleinen zweistöckigen Haus, in einer Wohngegend, etwas vom Zentrum entfernt, sie hatte die Angewohnheit, vor dem Einschlafen im Bett zu rauchen, ich auch, um die Wahrheit zu sagen. Ich war mit einigen spanischen Unternehmern zum Abendessen ausgegangen, die ich unterhalten, das heißt zu einer Kneipentour begleiten sollte. Sie hatte wahrscheinlich im Bett geraucht und war eingeschlafen, vielleicht hatte sie ein bisschen getrunken, um in den Schlaf zu finden, sie pflegte es in der letzten Zeit zu tun, möglicherweise trank sie zu viel an jenem Abend. Die Glut erfasste die Laken, es muss am Anfang langsam gewesen sein, aber sie wachte nicht auf oder zu spät, danach wollten wir nicht wissen, ob sie erstickt war, bevor sie ganz verbrannte, in Havanna schläft man viel mit geschlossenen Fenstern. Aber was machte das schon. Das Feuer zerstörte das Haus nicht ganz, die Nachbarn griffen rechtzeitig ein, ich kehrte erst zurück, nachdem sie mich ausfindig gemacht und mir Bescheid gesagt hatten, sehr viel später, ich hatte mich mit den Unternehmern betrunken. Dagegen hatte das Feuer sehr wohl Zeit, unser Schlafzimmer zu vernichten, ihre ganze Kleidung, meine, die Sachen, die ich ihr geschenkt hatte. Es gab weder eine Untersuchung noch eine Autopsie, es war ein Unfall. Sie war verkohlt. Niemandem lag besonders daran, weiter nachzuforschen, wenn mir nicht daran lag. Ihre Mutter, meine Schwiegermutter, war zu niedergeschlagen, um an andere Möglichkeiten zu denken.« Jetzt hatte er rasch gesprochen, als hätte er es eilig, die Erzählung oder diesen Teil zu beenden. »Sie waren auch keine einflussreichen Leute«, fügte er hinzu, »nur Mittelklasse, mit wenig Geld, eine Witwe und ihre Tochter. Ich hingegen hatte gute Verbindungen, wenn ich sie gebraucht hätte, um eine Untersuchung zu stoppen oder einen Verdacht zu zerstreuen. Aber dazu kam es nicht. Ich habe mich ein wenig in Gefahr begeben, es war einfach. Das war die Erklärung, Pech«, sagte Ranz. »Pech«, wiederholte er, »wir waren erst seit einem Jahr verheiratet.«
    »Und was war die Wahrheit?«, sagte Luisa.
    »Die Wahrheit ist, dass sie schon tot war, als ich zu dieser Kneipentour aufbrach«, antwortete mein Vater. Seine Stimme wurde wieder sehr schwach, als er diesen Satz sagte, so sehr, dass ich mich abermals anstrengen musste, als wäre meine Tür geschlossen, sie war angelehnt, und ich näherte dem Spalt mein Ohr, damit mir seine Worte nicht entgingen. »Wir stritten uns bei Einbruch der Dunkelheit«, sagte er, »als ich zurückkam, nach verschiedenen Verhandlungen in der Stadt, die den ganzen Tag in Anspruch genommen hatten, diese Unternehmer. Ich kam schlecht gelaunt nach Hause, sie war es noch mehr, sie hatte etwas getrunken, seit zwei Monaten berührten wir uns nicht, das heißt ich berührte sie nicht. Ich war in mich gekehrt und distanziert, seit ich Teresa kannte, aber vor allem seit ihrer Abreise, das mögliche Mitleid kam mir allmählich abhanden, und mein Groll ihr gegenüber wuchs, ihr gegenüber (›Er vermeidet es, ihren Namen auszusprechen‹, dachte ich, ›weil er sie jetzt nicht mehr beleidigen wollte oder sich ärgern oder eine Tote verlassen kann, die für niemanden sonst existiert hat, nur für ihre Mutter, mamita mamita, die sie nicht zu behüten oder über sie zu wachen wusste, Lüge Schwiegermutter‹). Ich empfand diese unkontrollierte Gereiztheit, wenn man aufhört, jemanden zu lieben, und dieser Jemand einen um jeden Preis weiterliebt und nicht kapituliert, wir möchten immer, dass etwas dann aufhört, wenn wir es für abgeschlossen halten. Je distanzierter ich mich fühlte, umso mehr hing sie an

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