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Mein Herz zwischen den Zeilen (German Edition)

Mein Herz zwischen den Zeilen (German Edition)

Titel: Mein Herz zwischen den Zeilen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jodi Picoult , Samantha van Leer
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Anstrengung, den glatten Felsen zu erklimmen. Sein flaschengrünes Samtwams ist ramponiert: versengt von Pyros feurigem Atem und zerrissen, als er sich auf dem Piratenschiff von den Fußfesseln befreit hat. Er hat den Dolch zwischen die Zähne geklemmt, um den nächsten Felsvorsprung mit den Fingern greifen zu können. Sein Gesicht ist dem Meer zugewandt, wo das Schiff in der Ferne verschwindet.
    Ich glaube, ich mag diese Illustration besonders gern wegen des Ausdrucks in seinem Gesicht. Eigentlich sollte in diesem Augenblick grimmige Entschlossenheit daraus sprechen. Oder vielleicht glühende Liebe für seine Prinzessin. Aber stattdessen sieht er irgendwie aus … na ja, als würde ihm etwas fehlen.
    Als wäre er fast lieber auf dem Piratenschiff. Oder überall sonst, bloß nicht an der Felswand.
    Als würde er etwas verbergen.
    Ich beuge mich vor, bis meine Nase fast das Papier berührt. Das Bild verschwimmt, je näher ich komme, aber einen Augenblick könnte ich schwören, dass Olivers Augen vom Meer zu mir gehuscht sind.
    »Ich wünschte, du wärst real«, flüstere ich.
    Aus dem Lautsprecher des Umkleideraums ertönt der Gong. Also ist die erste Stunde vorbei, gleich fängt Algebra an. Mit einem Seufzer lege ich das Märchenbuch aufgeschlagen auf die Bank. Ich öffne den Reißverschluss meines Rucksacks und nehme das Buch wieder in die Hand.
    Und schnappe nach Luft.
    Oliver klettert immer noch die glatte Felswand empor. Aber der Dolch steckt nicht mehr zwischen seinen Zähnen, sondern in seiner rechten Hand. Mit der Spitze der Stahlklinge ritzt Oliver eine feine, weiße Linie in den dunklen Granit, dann noch eine und noch eine.
    H
    Ich reibe mir die Augen. Das hier ist kein Nook, kein Kindle Fire oder iPad, nur ein ganz gewöhnliches altes Buch. Ohne Animation, ohne Schnickschnack. Tief einatmend berühre ich das Papier genau an dieser Stelle und hebe den Finger wieder.
    Langsam entstehen zwei Worte auf der Oberfläche des Felsens.
    HILF MIR .



Seite 11
    Positiv betrachtet, das erkannte Oliver, konnte er sich glücklich schätzen, weil seine auserwählte Braut weder in einem hundertjährigen Schlaf lag noch einen langen Zopf besaß, an dem er hochklettern musste, um sie zu retten. Andererseits jedoch stürzte er sich blind in dieses Unterfangen, denn er wusste ja nicht einmal, wo das Mädchen sich aufhalten mochte.
    Er hatte seinen Hengst Socks gesattelt und befand sich bereits außerhalb der Palastmauern, als er zögerte. Den Blick zu Frump gewandt, der neben seinem Herrn hertrottete, sagte er laut: »Nun denn, welche Richtung?« Eine Prinzessin zu retten war eine extrem schwierige Angelegenheit, wenn man so herzlich wenig Anhaltspunkte besaß.
    Frump bellte und wies mit der Schnauze zum Zauberwald.
    Oliver erschauderte. Zwar war das tatsächlich der kürzeste Weg zur Hütte des Zauberers Orville – der ihm von allen Bewohnern des Königreichs am ehesten brauchbare Hinweise für seine Suche liefern konnte –, doch er war auch mit Hindernissen gespickt. Es gab hervorstehende Wurzeln, über die der Hengst im Galopp stolpern konnte, und tief hängende Äste. Einige Teile des Waldes waren so undurchdringlich, dass man keinen halben Meter weit sah. Und weil der Wald verwunschen war, glich er einem Irrgarten, dessen Pfade sich ständig veränderten; man schlug nie zweimal den gleichen Weg ein.
    Er schloss die Augen und beschwor Prinzessin Seraphimas Bild herauf, die dazu verdammt sein würde, an der Seite eines Schurken ein elendes Leben zu führen, wenn es ihm nicht gelang, sie zu retten.
    Allerdings war es ja nun nicht so, dass sie mit Olivers Erscheinen rechnete …
    Er griff nach dem Kompass, den er um den Hals trug, und dachte dabei an sein Zuhause, von dem er erst wenige Meter entfernt war. Vielleicht hatte seine Mutter recht; vielleicht war Vorsicht eben doch besser als Nachsicht. Doch bevor er sich entschließen konnte, wieder in den Schutz der Schlossmauern zurückzukehren, sauste direkt vor seinen Augen ein kleines Irrlicht vorbei. Als er die Augen zusammenkniff, konnte er erkennen, dass es eine Fee war. Diese garstigen kleinen Geschöpfe lebten von Lügen und Klatschgeschichten. Es hieß, sie konnten erwachsene Männer in Schlaf versetzen, um ihnen anschließend ihre verborgensten Geheimnisse zu rauben. Oliver wedelte vor seinem Gesicht herum, wie um ein Insekt zu verscheuchen, doch die Fee stieg wie eine leuchtende Fackel in die Höhe, schoss dann herab und biss Socks kräftig ins Hinterteil.
    Der

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