Mein Herz zwischen den Zeilen (German Edition)
Essen, sondern ein Buch für junge Erwachsene liegt. »Ich habe es nicht gelesen, aber die Bibliothekarin meint, das sei bei Mädchen in deiner Jahrgangsstufe gerade der Hit. Es handelt anscheinend von einem Werwolf, der sich in eine Meerjungfrau verliebt. Angeblich das neue Bis(s) zum Morgengrauen .«
Ich schiebe es weg. »Danke, aber das interessiert mich nicht.«
Meine Mutter setzt sich mir gegenüber an den Tisch. »Delilah, wenn ich plötzlich Babybrei essen oder die Sesamstraße gucken würde, hättest du dann nicht auch den Eindruck, dass mit mir etwas nicht stimmt?«
»Mein Buch ist keine Gutenachtgeschichte für Kleinkinder«, wende ich ein. »Es ist … es ist …« Aber was immer ich jetzt sage, es würde alles nur noch schlimmer machen.
Sie presst die Lippen aufeinander und ihre Augen verdüstern sich. »Ich weiß, warum du besessen von einem Märchen bist, Liebling, auch wenn du es dir nicht eingestehen willst. Aber jetzt sage ich dir mal was: Dem Märchenprinzen begegnet man nicht alle Tage, auch wenn man es sich noch so wünscht, und ein Happy End wächst nicht auf Bäumen. Glaub mir, je eher du erwachsen wirst, desto weniger wirst du enttäuscht.«
Ihre Worte sind wie ein Schlag ins Gesicht. Sie lässt die Eier auf einen Teller gleiten und stellt ihn mir vor die Nase, bevor sie die Küche verlässt.
Kinder werden nie nach ihrer Meinung gefragt, aber mir scheint, erwachsen zu werden heißt, nicht mehr das Beste zu hoffen, sondern sich auf das Schlimmste gefasst zu machen. Also wie soll man einer Erwachsenen klarmachen, dass alles, was in der Welt falsch läuft, vielleicht daher kommt, dass sie nicht mehr daran glaubt, dass das Unmögliche geschehen kann?
Ich sage immer, dass ich Biologie hasse, aber vielleicht hatten das Fach und ich auch nur einen schlechten Start. Meine Lehrerin, Mrs Brown, wird ihrem Namen wirklich gerecht: Sie ist süchtig nach Selbstbräunungscreme und Zahnbleichstrips und redet die meiste Zeit über ihre Lieblingsurlaubsziele in der Karibik, anstatt uns auf die Laborübung am nächsten Tag vorzubereiten. Die Zellteilung – das kann man mit Fug und Recht behaupten – muss ich mir selbst beibringen, doch andererseits bin ich bestens gerüstet, sollte ich einmal in die Verlegenheit kommen, einen Urlaub auf den Bahamas buchen zu müssen.
Den Sonntag habe ich in meinem Zimmer verbracht und mit Oliver seine Flucht geplant. Manchmal haben wir unser Vorhaben vergessen und sind abgeschweift. Ich habe Oliver Sachen anvertraut, die ich noch nie jemandem erzählt habe: dass ich mir um meine Mom Sorgen mache; dass ich Panik bekomme, wenn mich jemand fragt, was ich später einmal werden möchte; dass ich mich insgeheim frage, wie es wäre, beliebt zu sein, und sei es nur eine Stunde lang. Umgekehrt hat mir Oliver seine größte Angst gebeichtet: dass sein Leben verstreicht – was immer das bei ihm bedeuten mag –, ohne dass er in irgendeiner Weise wichtig ist. Dass er ganz und gar gewöhnlich und nichts Besonderes ist.
Ich habe ihm gesagt, für mich sei er jetzt schon etwas Besonderes.
Und dass ich lieber sterben würde, als am Montag zur Schule gehen und Allie McAndrews unter die Augen treten zu müssen. Aber jetzt ist schon die dritte Stunde und sie fehlt.
Vielleicht hat Oliver recht: Wünsche können in Erfüllung gehen.
»Haben alle einen Frosch?«, erkundigt sich Mrs Brown. Ich blicke auf die arme tote Amphibie vor mir. Mein Laborpartner Zach verweigert heute die Arbeit im Labor aus Gewissensgründen, weil er Veganer ist. Anstatt den Frosch zu sezieren, schreibt er eine Arbeit über Wachstumshormone bei Milchkühen.
Die Tür öffnet sich, und Allie McAndrews kommt herein, mit zwei blauen Augen. Sie sieht aus wie ein Waschbär und dazu kleben auf ihrem Nasenrücken zwei gekreuzte Pflaster. Sie reicht Mrs Brown eine Entschuldigung. »Entschuldigen Sie die Verspätung«, sagt sie.
»Besser spät als nie«, entgegnet die Lehrerin. »Allie, arbeite doch gleich mit Delilah zusammen.«
Allie tötet mich mit Blicken, als sie sich auf den Hocker neben mir setzt. »Komm mir bloß nicht zu nahe«, zischt sie, »sonst wirst du es bereuen.«
»Nehmt jetzt bitte den Frosch zur Hand. Ich möchte, dass ihr die hinteren Gliedmaßen messt …«
Ich drehe mich zu Allie. »Willst du … als Erste?«
Sie funkelt mich an. »Da würde ich lieber dem Schachclub beitreten.«
Ich bin letztes Jahr dem Schachclub beigetreten. »Na schön«, sage ich. Tut mir leid, Kumpel , denke ich,
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