Mein Herz zwischen den Zeilen (German Edition)
als ich den Frosch auf meine Handfläche lege und ein Lineal zücke.
Allies Freund Ryan zieht seinen Hocker an unseren Labortisch, obwohl er eigentlich einen anderen Arbeitspartner hat. »He, schöne Frau«, sagt er grinsend zu ihr. »Was hältst du davon, wenn wir uns heute Abend irgendwo was zu essen holen und uns danach einen Film runterladen, den wir dann nicht ansehen?«
»Keine Lust«, sagt sie und wirft einen Blick zu mir. »Ich muss nach Hause und Kühlkompressen auflegen .«
»Es war ein Versehen«, beteuere ich. »Ich bin nicht absichtlich fünf Bahnen quer durchs Becken geschwommen, nur um dich ins Gesicht zu schlagen.« Obwohl ich zugeben muss, als Tagtraum könnte ich mir so was durchaus vorstellen.
»Du bist das einzige Mädchen der Schule, bei dem zwei Veilchen scharf aussehen«, meint Ryan.
Allie verschränkt ihre Finger mit seinen. »Das sagst du nur so.«
»Ehrenwort«, antwortet Ryan.
»Ich liebe dich, mein Süßer«, sagt Allie.
Ryan grinst. »Ich liebe dich noch mehr.«
Ich hatte zwar damit gerechnet, dass mir bei der Sezierübung schlecht werden würde, aber ich dachte eigentlich eher wegen des Froschs und nicht wegen der Gespräche.
Mrs Brown schiebt sich an unserem Labortisch vorbei. Falls ihr auffällt, dass Ryan jetzt bei uns mitarbeitet, gibt sie jedenfalls keinen Kommentar dazu ab. »Und jetzt möchte ich, dass ihr den Brustbereich untersucht … Welches Skelettmerkmal fehlt?«
Ich warte, dass Allie sich den Frosch vornimmt, um ihn zu untersuchen. »Ähm, willst du auch mal?«, frage ich sie.
»Was? Dir eine kleben? Dir das Knie brechen?«
»Also gut«, sage ich und pike noch einmal in den Frosch.
»Was hättest du gern?«, fragt Ryan. »Was vom Chinesen? Vom Inder? Vom Italiener?«
»Rippen«, verkünde ich.
Beide sehen mich angewidert an. »Wer hat dich denn gefragt?«, ätzt Allie.
»Nein … der Frosch. Das fehlende Skelettmerkmal … sind die Rippen.«
Sie wirft ihre Haare zurück. »Wen interessiert das schon?«
»Sachte.« Mrs Brown ermahnt einen Jungen rechts von mir, der so fest auf seinen Frosch drückt, dass der Kopf anschwillt. »Das Sezieren ist nicht nur eine Wissenschaft, sondern auch eine Kunst. Bringt eurem kleinen Frosch ein wenig Liebe entgegen.«
Plötzlich reißt Ryan mit einer übertriebenen Geste den Frosch vom Tisch. »Ja … bringt eurem kleinen Frosch ein wenig Liebe entgegen.« Er hält ihn so nah vor mein Gesicht, dass ich den Geruch nach Chemikalien und Tod rieche. Mit aller Kraft stoße ich ihn weg, wobei ich den Hocker umwerfe und einen derartigen Tumult verursache, dass die ganze Klasse aufmerksam wird.
»Meine Schuld!«, sagt Ryan. »Ich dachte, er hätte gesagt, er sei ein Prinz …«
Die ganze Klasse brüllt vor Lachen. Ich werde rot wie eine Tomate.
»Das reicht!«, greift Mrs Brown ein. »Ryan, ab zum Direktor; wir beide sehen uns heute Nachmittag beim Nachsitzen. Delilah, du gehst zur Toilette und säuberst dich.«
Als ich meinen Rucksack packe und aus dem Klassenzimmer stolpere, ist es ganz still. Und dann, kurz bevor ich über die Türschwelle trete, höre ich es: »Quak. Quak.« Es kommt von einem Schüler aus der letzten Reihe, und auf einmal kichern alle, während Mrs Brown (vergeblich) versucht, sie zur Ordnung zu rufen.
Die Mädchentoilette ist leer. Ich schrubbe mir Hände und Gesicht und trockne sie mit Papierhandtüchern ab. Früher war Jules meine Anlaufstelle in allen Notlagen, sie war diejenige, bei der ich mich ausheulen konnte. Aber jetzt durchwühle ich meinen Rucksack. Genauso wie schon nach der Sache im Schwimmbad und nach meinem Traum ist die einzige Person, mit der ich jetzt sprechen möchte, Oliver.
Ich suche zwischen dem Biologiebuch und dem Englischhefter und dem Pausenbrot, aber das Buch fehlt.
»Nein«, murmle ich und ziehe die Schulbücher aus dem Rucksack. Jetzt befinden sich darin nur noch zerknittertes Papier, Bleistiftstummel, Brösel von Müsliriegeln und 42 Cent.
Das Märchen – das ich mit eigenen Händen heute Morgen eingepackt habe – ist fort.
Die Entscheidung, nicht zurück in die Biologiestunde zu gehen, ist schnell gefasst. Ich werde Mrs Brown einfach erzählen, ich sei so traumatisiert gewesen, dass ich unbedingt mit dem Vertrauenslehrer reden musste. Stattdessen renne ich in die Schulbücherei, wo Ms Winx gerade den Strichcode auf neue Bücher klebt. »Ms Winx«, frage ich sie, »hat jemand Mein Herz zwischen den Zeilen abgegeben?«
»Hast denn nicht du es gerade
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