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Mein Höhenflug, mein Absturz, meine Landung im Leben (German Edition)

Mein Höhenflug, mein Absturz, meine Landung im Leben (German Edition)

Titel: Mein Höhenflug, mein Absturz, meine Landung im Leben (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sven Hannawald
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paar Monate später war es so weit: Erich Hilbig konnte mich »allseitigen Normerfüller« auf die KJS delegieren, nach erfolgreicher »Aus- und Rückgabe« zahlreicher Formulare, »drei Leistungstests unter den Augen der Bezirks- und Clubtrainer, drei sportärztlicher Untersuchungen«. Und nicht zuletzt kam bei der Überprüfung »sämtlicher Verwandter ersten und zweiten Grades, deren Parteizugehörigkeiten« und »Verbindungen ins Nichtsozialistische Wirtschaftsgebiet (NSW)« heraus: keine Westkontakte, kein Problem.
    »Es war richtig, dass du rübergemacht hast«
    Zum Abschied erzählte Erich Hilbig traurig, dass jetzt »fast alles kaputt ist bei uns hier oben«. Kein Geld, kein Pistenbully, keine hauptamtlichen Trainer und keine Tretkommandos mehr, nur noch ein paar ehrenamtliche Sozialarbeiter, die sich um die Schanzen kümmern, die aber, wenn es mal viel Neuschnee gegeben hat, hoffnungslos überfordert sind. Keine guten Trainingsbedingungen mehr für den Nachwuchs vom WSV 08 Johanngeorgenstadt, der jahrzehntelang der Stolz der ganzen Region war.
    »Sven«, sagt Herr Hilbig ganz zum Schluss, »es war richtig, dass du damals rübergemacht hast.« Er meinte damit nicht meinen Wechsel nach Klingenthal, sondern vielmehr meinen Umzug in den Westen, im zweiten Jahr nach der Wende, als ich ins Sportinternat Furtwangen im Schwarzwald zog.
     

Meine Jahre in der »Kaderschmiede«
    Als Talent in der Kinder- und Jugendsportschule (KJS): wie ich als Zwölfjähriger durch »eiserne Disziplin« systematisch auf Höchstleistungen vorbereitet wurde

    Als 13-Jähriger zwischen zwei Sprüngen auf der Vogtlandschanze in Klingenthal. Schon damals galt: Im Sommer wird ein Wintersportler gemacht.

Der Putz bröckelt. Die Wände sind feucht. Die Fensterscheiben erblinden langsam. Auf der Treppe zum Keller wachsen schon junge Birken. Den Weg, der mal zur Kinder- und Jugendsportschule (KJS) führte, hat sich die Natur zurückgeholt. Gras und Unkraut wuchern, teilweise kniehoch.
    Über der Eingangstür, rechts oben im ersten Stock, da war mein Zimmer, das ich damals mit vier Gleichaltrigen geteilt habe. Im Erdgeschoss, neben der Treppe, durften wir so etwas wie eine Disco veranstalten. Einmal im Monat. Es gab Vita-Cola und Orangenlimo, und wir hörten Abba, Milli Vanilli und Depeche Mode. Spätestens um 21 Uhr musste aber Schluss sein.
    Rechts von unserem Internat stand ein Schuppen, in dem die Fahrräder und eine Tischtennisplatte standen. Dort haben wir in unserer Freizeit gerne Bälle gedroschen. Manchmal sind wir auch die vielleicht hundert Schritte Richtung alte Sprungschanze gegangen, hin zur Schanzenbaude. Dort am Kiosk standen die Älteren und genehmigten sich ab und zu ein Wernesgrüner oder heimlich eine Zigarette der Marke Club oder Kabinett. Aber aus Bier habe ich mir damals wenig gemacht, und auch aus Zigaretten nicht – nachdem ich es mit 15 mal probiert hatte. Dies war also bis 1991 meine Welt, fünf Jahre lang.
    »Langfristiger Leistungsaufbau« in Klingenthal
    Mit zwölf Jahren wurde ich vom Bezirkstrainingszentrum »Hans Friedrich« der SG Dynamo Johanngeorgenstadt nach Klingenthal delegiert, ins Internat der Kinder- und Jugendsportschule des SC Dynamo Klingenthal. Weil meine sportliche Leistung nach den offiziellen Eignungs- und Sichtungstests mit »sehr gute Perspektive« bewertet wurde, weil meine schulischen Ergebnisse zum Ende der 6. Klasse nicht schlecht waren und vor allem weil auch »kadermäßig alles in Ordnung« war, die Sichtungskommission also keine auffälligen Westkontakte erkennen konnte, wurde ich in die Förderstufe 2 berufen – in eine KJS. Von Montagmorgen bis Freitagabend lebte und trainierte ich nun also in der Kleinstadt im Vogtland.
    Zu dieser Zeit gab es über die ganze DDR verteilt insgesamt 25 Kinder- und Jugendsportschulen. Der Auftrag war für alle gleich. Er lautete: »langfristiger Leistungsaufbau« der Schüler, Medaillenkandidaten ausbilden.
    Manchmal lieferte mich mein Papa schon am Sonntagabend in der KJS ab. Häufig fuhr dann auch ein anderer KJS-Schüler mit, Peter Zahrow. Sein Vater, der früher auch mal Skispringer war, saß schon länger im Rollstuhl – Querschnittslähmung nach einem schweren Sturz von der Schanze. Wenn ich nur mit meinem Papa in seinem Wartburg saß, sprachen wir in den ersten Monaten nicht viel. Die rund 30 Kilometer Fahrt von Johanngeorgenstadt nach Klingenthal waren für mich kein leichter Weg, auch wenn ich versuchte, dies zu verbergen. Viele Jahre

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