Mein Höhenflug, mein Absturz, meine Landung im Leben (German Edition)
können nicht mehr umsetzen, was sie nach vielen Hundert Sprüngen gelernt und technisch ja draufhaben.
Als Sven technisch gefestigt war und ich ihm sagte: Du darfst jetzt auf die große Schanze, konnte ich ihm anmerken, dass er diese Aufgabe mit Freude annahm. Endlich durfte er, was er immer schon wollte. «
Wie Uwe Schuricht, ab 1986 mein Trainer in der Kinder- und Jugendsportschule (KJS) in Klingenthal, das junge Talent bewertete
Mit meinem Extrainer Uwe Schuricht in der neuen Vogtland-Arena (2013)
Unser strenges Pensum
Auch ich habe auf der KJS gelernt, wie man diszipliniert lebt und trainiert. Der Tagesablauf war total strukturiert. Ich glaube, das brauchst du auch, wenn du zwölf, dreizehn, vierzehn Jahre alt bist und einmal ein erfolgreicher Sportler werden willst.
Wir lebten nach strengen Tages- und Wochenplänen. Es ging schon morgens um sieben mit der ersten Trainingseinheit los. Am Nachmittag folgte eine zweite und manchmal auch noch eine dritte. Dazwischen lagen die Schulstunden.
Ich stieg in die 7. Klasse der Realschule ein, die nach dem Vater der sowjetischen Geheimpolizei benannt war – F. E. Dscherschinsky. Die Schulzeit war für mich kein großer Spaß. Geschichte, Deutsch, Geografie – all diese Fächer haben mich nicht besonders interessiert. Auch Russisch nicht. Nach all dem Pauken ist mir bei nur noch eine russische Vokabel hängen geblieben: достопримечательности. Das heißt: Sehenswürdigkeit. Und ich erinnere mich noch, dass die junge Russischlehrerin sehr sympathisch war und – na ja – auch sehr attraktiv aussah.
Als ich 15 war, kam noch PA hinzu, das Fach »Praktische Arbeit«. Ich weiß noch, dass ich vier Wochen lang in einem Klingenthaler Betrieb Teile für Steinobstentkerner sortiert habe.
Freizeit? Doch, doch, die war auch vorgesehen: täglich zwei oder drei Stunden. Auch die Mahlzeiten waren minutiös geregelt: um 6.45 Uhr, um 14 Uhr und 18 Uhr. Und um 10 und 15 Uhr gab es noch mal eine kleine Zwischenmahlzeit: Obst oder einen Müsliriegel.
Beim Mittagessen, das wir wie in einer Kantine selbst abholten, stand regelmäßig eine Schüssel mit weißen Pillen neben dem Besteckkasten. Damit sollten wir uns bedienen, jeder eine. Manche haben auch mehr genommen, weil die so schön süß schmeckten. Vielleicht waren es ja Vitamine. Keine Ahnung. Damals hat uns jedenfalls keiner aufgeklärt, was genau das für Pillen waren. Und wofür die wirklich gut sein sollten. Heute weiß man, dass es tatsächlich Vitamin-Pillen waren.
Stolzer Festtag: als 14-Jähriger bei der Jugendweihe (2. von links). Für mich ein offizieller Schritt, erwachsen zu werden.
Jede Trainingseinheit wurde protokolliert
Aufs Training habe ich mich immer gefreut, fast immer. Auch wenn es meist sehr anstrengend war. Zu Beginn jeder neuen Trainingssaison, die im August startete, sahen die Rahmentrainingspläne vor, durch systematisches Konditionstraining zunächst die Grundlagenausdauer aufzubauen. Wir gingen täglich joggen oder absolvierten Crossläufe, meist 7 Kilometer. Wir machten möglichst viele Kilometer auf dem Rad. Wir schruppten auf Skirollern, später auch auf Inlinern über eine asphaltierte Rollerbahn, die im Wald angelegt war. Immer wurde bei uns die Zeit genommen und regelmäßig unser Laktatwert gemessen, ein bewährtes Verfahren für die Trainingssteuerung und Leistungskontrolle. Um es nur kurz zu erklären: Anhand der gemessenen Konzentration des Laktats (Salz der Milchsäure, ein Stoffwechselprodukt) im Blut lässt sich der Belastungsbereich gut abschätzen – mit welcher Herzfrequenz ein Athlet optimal trainieren kann.
Jede einzelne Trainingseinheit wurde protokolliert und auf Millimeterpapier eingetragen, um die Steigerungsraten auf einen Blick sehen zu können (siehe Seite 65).
Das Pensum, das ich als 13-Jähriger als Vorbereitung auf den Winter zu leisten hatte, kann sich sehen lassen: Insgesamt kam ich auf 359 Trainingseinheiten, darunter 44 Trainingseinheiten »Kraft«, 103 Trainingseinheiten »Allgemeine körperliche Athletik«, 980 Kilometer Lauftraining und 588 Sprünge von der Schanze.
Aber das war nichts im Vergleich zu dem, was zwei Jahre später zu Buche schlagen sollte: Als 16-Jähriger sind in meiner Akte insgesamt 508 Trainingseinheiten vermerkt, darunter 95 Trainingseinheiten »Kraft«, 146 Trainingseinheiten »Allgemeine körperliche Athletik«, stattliche 1556 Kilometer Lauftraining und schon 777 Sprünge.
Trainingsdokumente aus der KJS
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