Mein Höhenflug, mein Absturz, meine Landung im Leben (German Edition)
Assen«.
Im Jahr 1959 wurde das Ministerium für Volksbildung vom SED-Zentralkomitee schließlich beauftragt, die KJS umzuwandeln – in echte »Spezialschulen für den Kinder- und Jugendsport«. So entstanden schließlich in der Nachbarschaft zu bereits bestehenden Sporthallen großzügige Schulneubauten und Internate. Der politische Auftrag lautete: Produktion sportlicher Höchstleistungen. Um dies sicherzustellen, wurden die KJS jetzt auch an die lokalen Sportclubs angeschlossen. Die hatten alle einen großen Trainerstab. Die KJS Klingenthal arbeitete eng mit dem Skiclub Dynamo Klingenthal zusammen. Neben den Leistungszentren in Zella-Mehlis, Oberhof und Oberwiesenthal entwickelte sich Klingenthal zu einer wichtigen Wintersport-Medaillenschmiede – für die Disziplinen Skispringen, Skilanglauf und Nordische Kombination.
Auf den Spuren in die Vergangenheit: Die ruhmreiche Große Aschbergschanze ist heute nur noch als Modell zu sehen – im Musik- und Wintersportmuseum Klingenthal.
»Selbstbeherrschung und eiserne Disziplin«
Anfangs waren die Resultate wohl enttäuschend. Zu wenige Schüler und Lehrer entwickelten die geforderten Fähig- und Fertigkeiten, die zuverlässig zu Höchstleistungen führten. Deshalb wurde der Unterricht rigoros dem Training untergeordnet. Wenn die sportliche Perspektive eines Schülers stimmte, wurde auch schon mal über die eine oder andere schwächere Schulnote hinweggesehen. Die sportliche Entwicklung der Schüler stand immer ganz klar obenan.
Das Ziel, zu den führenden Sportnationen der Welt zu gehören, ließ sich die DDR sehr viel Geld kosten. Tausende Trainer standen auf der Lohnliste. Allein für die 25 Kinder- und Jugendsportschulen gab das Ministerium für Volksbildung jährlich geschätzte 80 Millionen Mark aus, die übrigens in keinem Sportetat auftauchten. Rund 1400 Lehrer und über 400 Erzieher kümmerten sich an den Internaten um die Erziehung der knapp 10.000 KJS-Schüler.
Seit Anfang der 1970er-Jahre waren die meisten im Internat untergebracht. Wie ich ja auch. Weil wir junge Athleten jedes Jahr mehrere Trainingslager absolvieren und an vielen Wochenenden bei Wettkämpfen starten mussten, wurde der Unterrichtsstoff in Geschichte, Erdkunde oder Russisch in kleinen Gruppen nachgeholt. Wenn nötig auch im Einzelunterricht. Jeder Schule wurde außerdem ein Arzt und eine Krankenschwester zugeteilt. Regelmäßig fanden sportärztliche Untersuchungen statt. Einer wie Wolfgang Ahrens, ehemals Direktor der KJS in Leipzig, notierte in seinen Erinnerungen die Erwartungen an die Schüler: »Wir forderten Selbstbeherrschung, Selbstdisziplin – jawohl, eiserne Disziplin –, aber trotzdem gab es an unserer Schule weder Kadavergehorsam noch Drill. Denn mit solchen Methoden werden keine schöpferischen Kräfte für die Erreichung hoher Lebensziele freigesetzt.«
»Das DDR-Leistungssportsystem war ein geschlossenes System, eine militärische Einrichtung, wo es Befehle gab. Und wer sich widersetzt hat, der ist gnadenlos eliminiert worden.« Henner Misersky, ehemaliger Skilang-lauftrainer
KJS-Trainer Uwe Schuricht über Sven
»Sven erwies sich als begnadetes Talent«
» Sven ist als sehr, sehr guter Sportler zu uns gekommen. Mit seinen zwölf Jahren hatte er ja schon Riesenresultate erzielt, wir wussten also, mit wem wir es da zu tun bekommen. Er hatte ein gutes Verhältnis zu seinen Eltern, davon konnte ich mich bei ihm daheim immer wieder selbst überzeugen.
Sven erwies sich als ein begnadeter Springer. Er brachte auch körperlich alle Voraussetzungen mit: schmaler Körperbau, er war nie zu schwer – ein schneidiger, mutiger Bursche. Was Sven noch auszeichnete: Er konnte sehr gut auf unsere Korrekturen reagieren – was ja gerade im Sport eine wichtige Qualität ist. Sven hat schon mit zwölf Jahren gern auch das Risiko gesucht, das konnte man sehen. Er wollte immer ganz weit nach unten springen.
Als er mit 16 Jahren auf die größeren Schanzen in Oberwiesenthal ging, kamen seine Fähigkeiten besonders zum Vorschein. Bei der Umstellung von den gewohnten 60-Meter-Schanzen auf eine große 90-Meter-Schanze scheitern viele junge Sportler. Wenn es wirklich ans Eingemachte geht, wenn es also gilt, auf dem langen Anlauf Fahrt aufzunehmen und dann aktiv und kraftvoll vom Balken abzuspringen, hat jeder erst mal gewisse Hemmungen und ein mulmiges Gefühl. Das ist normal. Auf einer großen Schanze können sich die wenigsten dazu überwinden. Das Selbstvertrauen fehlt, sie
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