Mein ist dein Herz
nächste Morgen an, die einen Leute wachten gerade auf, andere fuhren zur Arbeit, Familien frühstückten zusammen und freuten sich auf den neuen Tag, ich hingegen hielt ein sterbendes Kind in meiner Hand.
Mein und Janessas Baby.
Es hatte eine durchscheinende Haut. So dünn, wie Seidenpapier, wodurch man nicht nur die feinen Äderchen sehen konnte. Nein! Ganze Organe, wie das Gehirn, oder das schnell schlagende Herz.
Ich meinte in den filigranen Gesichtszügen etwas von Jane erkennen zu können und stellte nach einem Blick unter das Tuch fest, dass es ein Junge war.
Dies schockierte mich dermaßen, dass ich mich nicht mehr rühren konnte.
Mir wurde schlagartig klar, dass dieser Junge mein Sohn war!
Mein Fleisch und Blut!
In meiner Mitte erwachte das Bedürfnis, ihn noch näher an mich zu drücken, zu wärmen, zu beschützen. Es war aber ein sehr unterschwelliges Gefühl, welches das Nervenzentrum niemals erreichen könnte. Zudem gab es da noch den Funken meines gesunden Menschenverstandes, der mir sagte, dass es bald schon vorbei ist. Bald würde es niemanden mehr geben, dem ich Schutz gewähren könnte. Das hätte ich tun sollen, während seine Mutter ihn unter ihrem Herzen trug! Es lag an mir, sie BEIDE vor allem Bösen abzuschirmen, aber ich habe versagt. Schlimmer noch: Ich selbst habe das Übel heraufbeschworen, wegen dem unser Sohn keine drei Minuten nach dessen Geburt gestorben ist.
E rst im Nachhinein habe ich mich gefragt, ob es nicht doch möglich wäre, unser Kind zu retten und habe den Arzt diesbezüglich ausgefragt.
Nicht in Anwesenheit von Jane versteht sich.
Er hat mir jedoch versichert, dass wir nichts hätten machen können.
»Fehlgeburten kommen sehr oft vor und es gibt wirklich keine Überlebenschance für Babys in dieser Schwangerschaftswoche«, erklärte er knapp und legte mir dann andere Papiere zur Unterschrift vor. Ich war zu der Zeit so kaputt, dass ich alles gegenzeichnete, ohne groß nachzuschauen, was das war.
Das Einzige, was ich noch weiß: Anbei war der Antrag auf eine Beisetzung unseres Sohnes in einem ›Sternenkindergrab‹. Etwas Unübliches, wie ich zu hören bekam, zumal es keine Todgeburt war - dazu zählen die Babys erst, wenn sie über fünfhundert Gramm schwer sind - und es kostenpflichtig sei.
»Nicht alles lässt sich anhand von Zahlen messen! Unser Sohn soll beerdigt werden, koste es, was es wolle«, lautete meine barsche Antwort, nach der ich das Ärztezimmer verließ und mit hängenden Schultern zu Jane zurückging.
Sie wurde bereits auf Station gebracht und lag, als ich rein kam, auf einen Punkt starrend da. Wie eine Puppe. Schön, unbewegt und dennoch unendlich traurig. Als nun die Tür hinter mir ins Schloss fiel, brach der eiserne Ring meiner Beherrschung endgültig entzwei. Ich ergab mich einfach meinen Tränen und der Trauer.
W enn ich anfangs davon ausging, dass Janes Schweigsamkeit auf das Beruhigungsmittel zurückzuführen ist, musste ich einen Tag danach einsehen, dass es keineswegs daran lag. Reglos und stumm lag sie meistens auf irgendeiner Seite und blickte scheinbar ins Nichts. Sie weinte nicht, reagierte auch nicht darauf, als ich mit den Ärzten einen Streit anfing, im Bezug auf die Tatsache, dass sie abgesehen von der erzwungenen Fehlgeburt nichts mehr machen. Keine Untersuchungen, denen das Baby angeblich im ›Wege‹ stand. Nichts.
Ich bekam daraufhin zu hören, dass es ihr nun an fast nichts fehlen würde. Sie hatte nachweißlich keine inneren Blutungen, lediglich ein paar Blutergüsse, unteranderem einen am Bauch, die allesamt auf den Sturz zurückzuführen sind, allerdings nicht eine lebensbeeinträchtigende Verletzung. Anders gesagt: Es gab keinen Grund, um sie für eine lange Zeit dazubehalten.
Was ich nicht einmal zu fragen wagte, da ich es nicht über die Lippen brachte, war die Frage nach dem Warum.
In meinem Kopf formulierte ich diesen Satz immer wieder neu, in der Hoffnung, er würde in einer anderen Konstellation harmloser wirken. Jedoch ähnelte der einer einfachen mathematischen Gleichung: Selbst wenn man die zu summierenden Zahlen vertauscht, kommt unterm Strich dasselbe raus. Dieselbe schreckliche Wahrheit: Unser Kind starb umsonst.
Nun Fragen zu stellen, würde so oder so nichts bringen, nur unsere eh schon schwierige Situation noch unerträglicher machen.
Wobei ich bei Jane überhaupt nicht sagen konnte, was sie fühlt. Die erste und einzige wirkliche Regung fiel mir auf, als meine Eltern nach einem höchst
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