Mein ist dein Herz
Allesamt in Ärztekitteln. Zudem entdecke ich eine Krankenschwester - die ohne Kittel - und sogar eine OP-Schwester - wie ich anhand der grünen Kleidung erkenne.
Ein weiteres Mal probiere ich es mit dem gedanklichen Gang in die Zeit davor. Bevor ich hier gelandet bin. Aber alles, woran ich mich erinnern kann, ist der Augenblick, als Sean in seinem Auto um die Ecke fuhr.
Was war dann?
Kurzerhand beschließe ich, meine Augen zu schließen, da es mir danach sicherlich leichter fallen wird, mich zu konzentrieren. Tatsächlich sehe ich sofort ein Bild. Und noch eins ... noch eins ... sie summieren sich zu einem bewegten Moment. Wie ich zunächst Richtung Kempten fahre, dabei telefoniere und immerzu weine, dann aber unmittelbar vor der ›verhexten‹ Brücke anhalte und das Auto mitten auf der Autobahn wende. Ab da an sind die Bilder verschwommen. Nur noch schemenhaft kann ich erkennen, wie ich zurückkehre, verzweifelt nach Sean suche, ihn dann in demselben Billardcafe vorfinde, wo alles angefangen hat und mit ihm in sein Auto steige. Und genau hier gibt es einen Schnitt, der da aufhört, als Seans Stimme die Stille durchbrach, nachdem ...
Oh Gott!
Ich fasse mir an den Kopf und versuche mich aufzurichten.
»Bleiben Sie liegen!«, befielt die Krankenschwester. »Wir müssen sie erst röntgen!«
»Wo ist Sean?«, frage ich.
»Wer?«
»Der Fahrer des Autos, mit dem wir den Unfall hatten ... wo ist er?« Die Schwester bedenkt mich mit einem hilflosen Blick und wird direkt danach von einem der Ärzte zur Seite gedrängt. Seine Mimik drückt allerdings dasselbe aus. Ehe ich mich versehen kann, schießen mir Tränen in die Augen. Ich schüttle derart heftig den Kopf, dass alles in meiner Umgebung nicht nur verschwimmt, sondern sogar einen Schweif bekommt.
»Er ist doch nicht ...«, wimmere ich und beiße mir zeitgleich auf die Zunge. Es gibt lediglich eine sichere Konstante: Es gab einen Unfall. Was ich nicht weiß, ist der Zeitpunkt.
Möglicher Unfallhergang Nummer eins: Ich habe nicht aufgepasst und baute bereits vor der Brücke einen Unfall.
Nummer zwei: Auf dem Weg zurück zu Sean.
Nummer drei: Nachdem ich bei Sean angekommen bin.
In Anbetracht dessen, wie mich der Arzt gerade eben angeschaut hat, scheint die erste Option die realistischste zu sein, weil es andernfalls nur als solches gedeutet werden kann, dass Sean den Unfall nicht überlebt hat.
Nein! Wenn schon, dann glaube ich eher, dass ich mir alles nur eingebildet habe. Ich wünsche es mir einfach und hoffe, dass es ihm gut geht.
Gut! Pah!
Wieso sollte es ihm gut gehen? Ich, dummes Ding, habe ein weiteres Mal Scheiße gebaut und ihn mit dem Gefühl zurückgelassen, er wäre für mich weniger wert als Tyler!
Mein Herz zieht sich schmerzhaft zusammen. Ich versuche dem entgegenzuwirken, indem ich tiefer Luft hole, aber auch die scheint mich ersticken zu wollen. Panik ergreift mich, ich merke nicht einmal, dass wir endlich zum Stehen gekommen sind, nur wie meine Finger an den Kragen meines Pullovers greifen und den zur Seite zerren. Ich möchte sagen, dass ich keine Luft mehr bekomme, versuche die Schlinge zu ertasten, die mir die Kehle zuschnürt, aber da ist keine. Nur meine Haut, die nun ebenfalls an einigen Stellen Feuer fängt.
Meine Hände werden eingefangen und an den Handfesseln seitlich neben mir auf die Pritsche gedrückt. Ich stemme mich mit voller Kraft dagegen und erkenne unmittelbar danach, dass das ein dummer Fehler war. Ein stechender Schmerz in der Rippengegend ist die Folge. Um dem entgegenzuwirken, ziehe ich die Beine an.
Sofort sind zwei Hände zur Stelle, die nun auch die Beine runterdrücken und meinen Bauch abtasten. Dies ruft mir das Wichtigeste überhaupt in Erinnerung.
»Mein Baby!«, stoße ich heiser heraus.
»Was?«
»Mein Baby! Was ist mit meinem Baby?«, wiederhole ich, nur einen Tick lauter.
Sämtliche Gestalten erstarren und richten ihre Blicke auf mich. Eine Krankenschwester rennt zu einem in die Wand verbauten Telefon, drückt auf eine Taste und ich höre, wie sie irgendwem anordnet, einen Gynäkologen zu holen.
Aufgrund dessen, dass man mich offensichtlich wahrnimmt, frage ich erneut nach Sean.
»Zunächst müssen wir sie untersuchen!«, erklärt mir der Arzt.
»Sagen sie mir bitte ... BITTE ... wo er ist!«, flehe ich und halte ihn am Arm fest. Er lässt sich ergeben auf einen Stuhl sinken und schaut mich eindringlich an. Viel zu eindringlich! Sie wissen schon ... mit dem
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