Mein ist dein Tod
Mora.«
» Nennen Sie mich Lena.«
» Lena von Magdalena?«
» Ja, leider. Wie kann man heutzutage ein Mädchen Magdalena nennen?«
Jung schwieg und lächelte. Dann fragte er: »Warum sind Sie ausgerechnet zu mir gekommen?«
»Eine Freundin, die Erika Drops, hat Sie mir empfohlen. Sie sagte mir, sie hätten schon andere Opfer solcher Taten behandelt. Traumata von Zeugen, die hilflos ansehen mussten, wie jemand einfach so ohne jeden Grund zusammengeschlagen wurde.«
» Das stimmt«, bestätigte Jung. Er führte seine psychologische Praxis seit fast fünfzehn Jahren und hatte Erfahrung mit den Geschwüren, die eine Stadt wie Berlin bildete. »Die Tat geschah vor zwei Jahren. Warum konsultieren Sie mich erst jetzt?«
Lena Mora sah ihn fest an. »Ich kann nicht mehr schlafen. Ich glaube, der Hass bringt mich eines Tages um.«
Jung schwieg, eine gute Methode, den Klienten zum Sprechen zu ermuntern.
»Hass, wie gesagt. Und Unverständnis. Andauernd geschieht so etwas. Auf Bahnhöfen, mitten in der Stadt und überall vor Zeugen. Wer sind diese Menschen und warum hilft niemand? Warum schaut jeder weg?«
» Hass, sagten Sie«, spiegelte Jung.
» Mein Gott, es waren Jungen. Ganz junge Kerle. Noch jünger als ich damals. Ich bin jetzt zweiundzwanzig. Einer von ihnen sitzt für vier Jahre ein, die anderen zwei laufen noch immer frei herum. Da bei ihnen keine Fluchtgefahr besteht und niemand ihnen beweisen konnte, die tödlichen Tritte begangen zu haben, sind sie noch immer in der Stadt unterwegs, auf der Suche nach neuen Opfern. Nur der, der getreten hat, ist im Jugendgefängnis. Obwohl er schon über achtzehn war. Aber der Richter meinte, er habe noch nicht die Reife eines Erwachsenen. Autofahren und saufen darf er, aber wenn er jemanden tottritt, hat er nicht die Reife eines Erwachsenen. Das ist doch nur ein schlechter Witz, oder? Deshalb träume ich.«
» Und was genau träumen Sie?«
» Das wollen Sie wissen?«
Jung nickte ermunternd. »Deshalb reden wir miteinander.«
» Dann hören Sie gut zu, Doktor.« Lena schloss die Augen und berichtete.
3
Es ist Nacht.
Es ist immer Nacht in Lenas Traum.
Und stets herrscht Nebel.
Doch dieser Nebel kann verschiedene Farben haben, viel zu oft ist er rot wie Blut und wirkt wie glänzender Gelee, aus dem sich die Täter schälen. Nicht immer sind es drei, manchmal auch nur einer oder mehrere.
Meistens ist Toni nüchtern, sie alle sind nüchtern und Deniz hält Lena im Arm, schmust mit ihr, während sie laufen, auf eine Weise, die nicht sein kann, denn er schmust sehr intim. Aber in einem Traum geht so etwas. Und er flüstert ihr liebe Worte ins Ohr und malt ihr die Zukunft in herrlichen Farben.
Und Toni erzählt vom Schnee in Ruhpolding und wie schön es auf dem Gletscher ist. Wölfi ist manchmal ein Mensch, aber manchmal auch ein struppiger Hund, der sie kläffend begleitet.
Und wie immer sind sie da. Die Täter. Die Mörder.
Hin und wieder schwingen sie Äxte, manchmal auch Schwerter, selten schießen sie. Und Lena, die weiß, was kommen wird, wirft sich vor Deniz und fängt die Wirkung der Waffen ab, sodass Deniz nichts geschieht. Sie ist unverletzlich. Ist Superwoman. Trotzdem liegt Deniz meistens auf dem feuchten Pflaster und sein Schatten im Schein der Straßenlaterne ist weich und viel zu groß.
Doch im Gegensatz zur Realität ist Lena unvermittelt eine Wölfin, ein Tier mit langen Klauen und starken Hinterbeinen , und ist es auch wieder nicht, je nach Sichtweise. Sie springt und fällt die Täter an, die entweder immer kleiner werden, zu Kleinkindern schrumpfen, oder wachsen und sich wehren, so wie der Traum es will. Letztendlich sind die Täter hilflos. Warum, weiß Lena nicht. Sie wehren sich nie, sondern nehmen ihre Strafe an.
Wölfi hat sich noch immer nicht geregt, Deniz liegt starr und Toni fummelt an seinem Snowboard rum. Lena ist völlig alleine.
An diesem Punkt entfährt ihr der erste Schrei. Sie weiß nicht, ob sie ihn in ihr Schlafzimmer schreit oder nur in den Traum, auf jeden Fall ist der die Ausgeburt des Zornes, tiefen Hasses. Pure Schwärze aus seelenloser Düsternis.
Unmittelbar darauf hat sie ein Messer in der Hand mit einer langen gebogenen Klinge. Ein unreales Messer, eine Mischung aus Damaszenerdolch und Schlachtermesser, sehr scharf, sehr glänzend, tödlich.
Sie setzt es einem der Täter an die Kehle und der Junge kreischt voller Angst, während Lena sich lachen hört und irgendwo rufende Stimmen, die sie verdrängt. Die
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