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Mein ist der Tod

Mein ist der Tod

Titel: Mein ist der Tod Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gert Heidenreich
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stummen Dankgebet. Sie stand mit Mühe auf, wandte sich noch einmal dem fernen Feuer zu und sagte leise:
    Wenn du meinst. Ich hab nichts dagegen.
    Sie schlurfte über den Kornplatz. Am Zickbrunnen lief seit gestern wieder das Wasser.
    Verena Züllich beugte sich über den Rand und wusch sich das Gesicht. Sie trocknete sich mit dem Schultertuch ab und machte sich auf den Weg.

XVIII

    Die Klippen von V.

    ICH SENDE DIR EINEN GRUß VON DEN KLIPPEN VON V. Eben noch stand ich am Grab von Georges Braque. Ein befreundeter Maler hat ihm ein Mosaik als Grabstein geschenkt, nach der berühmten Taube von Braque selbst. Hier liegt er nun mit seiner Frau Marcelle, die zwei Jahre vor ihm geboren war und drei Jahre nach ihm starb, unter einer dicken Granitplatte, und ihre Seelen haben die herrlichste Aussicht auf den Atlantik …
    Er vermied es, von Varengeville zu schreiben. Martina würde ohnehin wissen, wo in der Normandie Braque begraben lag, und sollte jemand anderer zufällig die Karte lesen, war es ihm lieber, die Hinweise blieben im Ungefähren. Die Bildseite, eine von Turner gemalte Ansicht der Küste von Etretat, war touristisch genug.
    Das Meer lag milchgrün unter dem Himmel, der über den Kreidefelsen fast weiß war und zum Horizont hin langsam in ein Blau überging, das Swoboda heute schon einmal gesehen hatte, am Vormittag, in einem blühenden Leinfeld weiter im Land: Es war ein Blau ohne jedes Gewicht, obwohl es unter seiner Leichtigkeit einen violetten Anteil haben musste, der ihm Tiefe verlieh.
    Wo der Atlantik an den Luftraum stieß, war der Horizont von einer dünnen, dunkelgrünen Linie markiert, ein Streifen, der die beiden Lebenswelten scharf voneinander trennte.
    Er stand von der Bank auf, trat weiter zum Klippenrand vor und blickte auf die Kliffs der Bucht, die sich im Bogen am Meer entlangzogen und die steile Grenze zwischen dem hochgelegenen Grünland und dem tief anlaufenden Ozean bildeten. Die weißen Kalkwände mit ihren rostroten Längsrissen und quer verlaufenden, braungrauen Bändern aus Feuerstein standen im Sonnenlicht da wie leuchtende Barrieren des Landes gegen die Flut, die jedes Jahr Stücke aus den Felsen leckte und fraß. Abgestürzte Kreidemassen lagen am Fuß zwischen den Klippen, wurden von schaumigem Wasser umspült und langsam hinausgeschwemmt.
    Alexander Swoboda empfing das Bild, das sich ihm bot, als Trost, ohne sagen zu können, warum; er spürte, wie die Weite von Meer und Land in ihn selbst überging und ihn ruhig werden ließ.
    Nach einer Weile drehte er sich um, lief zwischen den Gräbern in die Mitte des Friedhofs, zum Tor der Eglise Saint Valéry, deren graue Steinmauern vom Mittagslicht aufgehellt wurden.
    Er trat ein und wanderte, wie an fast jedem Tag, zwischen den Bildsäulen aus Kalkstein mit ihren Reliefs aus Jakobsmuscheln und Köpfen und Fischmenschen umher und blieb vor dem blauen Glasfenster mit dem Stammbaum Jesu stehen, das Georges Braque 1962 hier geschaffen hatte – wenige Monate vor seinem Tod.
    Swoboda setzte sich in eine der dunklen Holzbänke, und ließ den Kosmos aus Blautönen auf sich wirken, aus hellem Kobalt über Türkis bis zum tiefsten Ultramarin entstand eine mystische Wirkung. Das Fenster zog den Blick in sich hinein. Swobodas Auferstehungsfenster in der Aegidiuskirche zog die Blicke nach oben, es riss sie geradezu hinauf, hatte Herking in seiner Würdigung geschrieben.
    Was anfangs so schwierig gewesen war, hatte sich am Ende, als Swoboda mit Max Reber in der Hofkunstanstalt einige Tage durcharbeiten konnte, als erstaunlich einfach herausgestellt. Und als die Fenster gebrannt waren, dann in hoher Hitze vorgespannt wurden, um ihre widerstandsfähige Härte zu gewinnen, hatte der Glasermeister zu ihm gesagt:
    Sie müssen an die Auferstehung glauben. So was kann keiner, der nicht glaubt.
    Swoboda hatte ihm die signierten Entwürfe geschenkt.
    An dem Tag, als die vier Fensterteile angeliefert, mit einem Spezialkran in die Maueröffnung der Kirche gehoben, montiert und in der Form eines hohen Kreuzes mit Bleiruten und einer stabilisierenden Stahleinlage zusammengefügt und verlötet wurden, hatte es sich der Diözesanbischof nicht nehmen lassen, als Erster zu begutachten, ob der Auftrag in seinem Sinne erfüllt worden war.
    Die Montage hatte am Morgen begonnen und war im frühen Nachmittagslicht abgeschlossen. Der Bischof schwieg lange vor dem Fenster, blickte immer wieder vom dunklen unteren Rand in den lichten Spitzbogen hinauf, der das Licht fast

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