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Mein ist der Tod

Mein ist der Tod

Titel: Mein ist der Tod Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gert Heidenreich
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ungefärbt einließ.
    Das ist schön, Herr Swoboda. Die Kirche dankt Ihnen. Man sieht, wie Sie Christus schon im Augenblick seiner Auferstehung in der Dreifaltigkeit gesehen haben, es sind ja drei Wege, die sich dann in einem Licht vereinen, großartig, das hätte ich nicht gedacht, dass ein Maler wie Sie so dogmatisch denken kann. Über dieses Fenster wird viel zu predigen sein.
    Swoboda hatte vermieden, den Kirchenmann aufzuklären, dass die Dreiheit der Farbstränge den drei Opfern von Günther Korell gewidmet war.
    Jetzt fiel vor ihm das Junilicht durch Braques Fenster in die Kirche Saint Valéry, und Swoboda dachte zurück an seinen Aufbruch von Zungen an der Nelda.
    Seit sechs Wochen lebte er nun schon an der Kreideküste der Normandie, die sich zwischen Le Havre und Dieppe in den Ärmelkanal hinzieht, und von Anfang an hatte er das Gefühl, hier zu Hause zu sein. Nach vierzehn Tagen, die er in seinem Wohnmobil auf einem Campingplatz in Yport verbracht hatte, war er in eine ländliche Pension bei Les Petites Dalles umgezogen und hatte sich schließlich in Varengeville, einem Ort mit rund tausend Einwohnern, bei dem Bäcker Bernard Lecluse eingemietet, der mit Aushang in seinem Geschäft zwei Zimmer in dem Haus aus dem achtzehnten Jahrhundert angeboten hatte. Im Parterre befanden sich die Backstube und sein Laden, im ersten Stock die vier hohen Räume, von denen Lecluse ein halbes Jahr nach dem Tod seiner Frau die beiden, die nach Nordwesten gingen, nach einigem Zögern an den Deutschen vermietete. Durch die Bäckerei unten war es oben warm und weniger feucht als in anderen normannischen Häusern.
    Dass er Maler sei, habe ihn überzeugt, sagte der Bäcker, Varengeville sei immer ein Künstlerort gewesen. Und er erzählte Swoboda, was der schon wusste: Außer Georges Braque waren, neben vielen anderen, Renoir und Joan Miró hier gewesen, am häufigsten und längsten Claude Monet, der die Eglise Saint Valéry, die Kreidefelsen und das alte Zollhaus mehrfach gemalt hatte. Lecluse war stolz darauf, mit Swoboda die Tradition fortzusetzen, und eines Abends hatte er ihm bei einigen Gläsern Cidre gesagt, es sei besser, dass die Deutschen mit Staffelei und Palette hierherkämen, statt mit Panzern und Artillerie. Swoboda hatte so getan, als ob er ihn nicht verstanden hätte. Sein Französisch war in der Tat miserabel. Doch sie nannten sich seit jenem Abend Bernard und Alexandre.
    Tags darauf machte Lecluse ihn mit Madame Catéline Desens bekannt, die passabel Deutsch sprach und sich anerbot, Swoboda in ihrem Haus, nicht weit vom Parc des Moutiers, zu unterrichten. Die füllige, nicht unattraktive Mittfünfzigerin war, wie der Bäcker, verwitwet, brauchte kein Geld und versicherte ihrem deutschen Schüler, dass der Unterricht eine willkommene Abwechslung in ihrem Leben sei. Er fand schnell heraus, dass sie und Lecluse sich ab und zu gegenseitig über den Verlust ihrer jeweiligen Ehepartner trösteten. Catéline schien allerdings nicht abgeneigt zu sein, ihrem Schüler Alexandre neben der französischen Sprache auch eine andere Lebensart beizubringen. Bisher hatte Swoboda sich erfolgreich zurückgehalten.

    Er fuhr in seinem weißen Peugeot Boxer ein paar Orte weiter an der Küste nach Südwesten. Am Nachmittag saß er auf der Terrasse eines Hotels über den Klippen an einem Marmortischchen, trank einen Milchkaffe in der Sonne und schrieb an Michaela Bossi auf eine Postkarte, eine Fotografie von Monets Garten in Giverny, einen einzigen Satz:
    Ich bin angekommen .
    Angekommen woher? Er hatte nur das Nötigste mitgenommen. Das Honorar für das Glasfenster reichte zur Anschaffung des Wohnmobils, das wegen seiner Inneneinrichtung aber für einen großen Umzug kaum geeignet war. Allein die Malutensilien füllten den Platz in den Schränken vollständig aus.
    Warum war er so hastig aufgebrochen? Nach all den Jahren, die er in Zungen ausgehalten hatte, nach der Beziehung zu Martina: Was hatte ihn fortgetrieben?
    Die Verbrechen konnten es nicht gewesen sein. Zu viele davon hatte er aufgeklärt und war dennoch geblieben. Was hatte sich geändert? Sein Freund Klaus Leybundgut fehlte ihm. Dass der Arzt die eigene Krankheit nicht erkannt oder verdrängt hatte, war schlimm gewesen – das einsame Begräbnis, zu dem nur Swoboda und Martina gekommen waren, noch schlimmer. Den Tod hielt Swoboda aus, den Abschied nicht.
    Er blickte auf. Der Himmel über ihm hatte sich mit dem bernsteinfarbenen Nachmittagsglanz überzogen, der ihn weich und

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