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Mein Ist Die Nacht

Mein Ist Die Nacht

Titel: Mein Ist Die Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Schmidt
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fielen die Leute auf den Schwindel herein,
mühten sich in überfüllten Innenstädten ab, um
sich an Heiligabend nicht zu blamieren. Er grinste in weiser
Vorfreude auf das Geschenk, das er sich heute schon machen
würde. Gut, bis Weihnachten war es noch ein paar Wochen hin.
Aber er feierte das Fest der Christen schon lange nicht
mehr.
    Es gab noch viel
vorzubereiten.

 
    Dienstag
    _______________

 
    1
    19.05
Uhr
    Der Winter im
Bergischen Land kotzte ihn wirklich an. Wenn es mal schneite, dann
kam gleich der komplette Verkehr zum Erliegen. Feine Schneeflocken
wirbelten gegen die Windschutzscheibe, um dort zu schmelzen, noch
bevor die Scheibenwischer die Flocken fortwischen konnten. Das
Wischergestänge quietschte bei jedem Hub, und er umklammerte
den abgewetzten Lenkradkranz des alten Opel. Die feste Schneedecke
auf dem Asphalt glitzerte im Scheinwerferlicht, das dem Wagen
vorauseilte und die Nacht in breite Lichtbalken schnitt. Aus dem
Radio ertönte leise Musik. Sie hörten beide nicht zu,
hingen ihren Gedanken nach. Die Musik wurde fast vollständig
vom monotonen Summen des Heizgebläses geschluckt, das auf
Hochtouren lief und so verhinderte, dass die Scheiben des Autos
beschlugen. Er seufzte unmerklich und schüttelte immer wieder
den Kopf.
    Auf der Straße
herrschte kaum Verkehr. Seine markanten Gesichtszüge
schimmerten geheimnisvoll im Widerschein der Armaturenbeleuchtung.
Fest lagen seine Hände auf dem Lenkrad, den Blick hatte er
starr nach vorn gerichtet. Die Kieferknochen mahlten, ein Zeichen
dafür, dass er angestrengt nachdachte.
    Dann hatten sie die
angegebene Adresse erreicht. Eine enge Straße mit
heruntergekommenen Fabrikgebäuden, die am wolkenverhangenen
Himmel über Wuppertal zusammenzuwachsen schienen. Die Anfahrt
über die Wesendonkstraße hatte sich wegen chaotisch
abgestellter Autos als schwierig erwiesen. Er stoppte den Wagen am
Straßenrand und blickte zu ihr herüber. »Hier ist
es«, bemerkte er überflüssigerweise.
    Sie nickte und
löste den Sicherheitsgurt. »Fünf Minuten zu
spät.«
    »Er kann froh
sein, dass du bei diesem Scheißwetter überhaupt zu ihm
kommst«, knurrte er.
    »Das ist mein
Job.«
    »Tolle
Gegend.« Die Häuser in dieser Straße waren marode.
Altbauten, die ihrem Namen alle Ehre machten. Staubblinde Fenster,
Putz, der von den Fassaden bröckelte, und überquellende
Mülleimer sowie Unmengen von Unrat in den Hofeingängen
prägten das Straßenbild. Auch die teils anzüglichen
Graffitis an den Hauswänden vermochten es nicht, mehr Farbe in
dieses Viertel zu bringen.
    Unterwegs hatten sie
sich angeschwiegen.
    Natürlich passte
es ihm nicht, dass sie abends zu einem anderen Kerl ging. Er machte
keinen Hehl aus seinem Unmut und seiner Eifersucht. Dass er sie
begleitete, hatte sie vehement abgelehnt. Und ihn damit in seiner
Eifersucht bestärkt.
    »Es ist doch nur
ein Job«, hatte sie immer wieder versucht ihn zu
beruhigen.
    Doch er war anderer
Ansicht. »Jobs macht man tagsüber. In Studios, in
Agenturen, bei Castings. Nicht nach Einbruch der Dunkelheit in
irgendwelchen leer stehenden Fabrikgebäuden.«
    »Er ist
Künstler, kein Fotograf, der im Atelier arbeitet und
spießige Hochzeitspaare, Schul- und Kommunionskinder
ablichtet. Er ist anders, kreativ und …« Jetzt lachte
sie. »Ja, er ist auch ein Spinner. Wie alle Kreativen halt.
Er lässt sich nicht in ein Atelier zwängen, hält
sich nicht an feste Arbeitszeiten und fotografiert dort, wo er am
besten arbeiten kann - was ist so schlimm daran, dass das Studio in
einer Fabrikhalle liegt?«
    Jetzt war es an ihm,
zu lachen. Doch es klang nicht amüsiert, sondern verbittert.
»Was so schlimm daran ist? Die Uhrzeit zum Beispiel.
Der Ort zum
Beispiel. Und die Tatsache, dass ich den Kerl nicht kenne.«
Nervös trommelte er auf dem Lenkrad herum.
    »Ich geh' jetzt
da rein und mach' mein Ding. Es dauert ein, zwei Stunden, dann bin
ich durch, habe mein Geld verdient und gehöre wieder
dir.« Sie lächelte ihn sanft an und ergriff seine Hand.
Als er nicht reagierte, stieß sie die Wagentüre auf.
Kalte Luft und Schneeflocken wirbelten ins Wageninnere.
    »Also gut. Hol'
mich in anderthalb Stunden ab - wenn du magst. Wenn nicht, auch
gut. Dann nehm' ich mir ein Taxi und fahr' nach
Hause.«
    »Wie du
meinst.« Er blickte stur geradeaus.
    Sie beugte sich zu ihm
herüber und hauchte ihm einen Kuss auf die Wange, doch er
reagierte nicht. Gut, dachte sie, dann eben nicht. Mit einer
Mischung aus Wut und Enttäuschung im Bauch stieg

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