Mein Katalonien
mittelmäßiger, kleiner Häuser aus Lehm und Stein drängt sich um die Kirche, und selbst im Frühling sieht man kaum irgendwo eine Blume. Die Häuser haben keine Gärten, nur Hinterhöfe, in denen magere Hühner über Haufen von Maultiermist rutschen. Es war ein widerliches Wetter, abwechselnd Nebel und Regen. Die engen Landwege hatten sich in einen See von Schlamm verwandelt, der stellenweise bis zu sechzig Zentimeter tief war. Durch diesen Schlamm wühlten sich die Lastwagen mit rasend drehenden Rädern und führten die Bauern ihre schwerfälligen Karren, die von Maultiergespannen gezogen wurden, manchmal sechs in einer Reihe und immer voreinandergespannt. Das ständige Kommen und Gehen der Truppen hatte das Dorf in einen Zustand unaussprechlichen Schmutzes versetzt. Irgendeine Toilette oder eine Art Kanalisation besaß es nicht und hatte es nie besessen, daher fand man auch nicht einen Quadratmeter, wo man gehen konnte, ohne darauf achten zu müssen, wohin man trat. Die Kirche hatte man schon seit langem als Latrine benutzt, ebenso aber auch alle Felder im Umkreis von etwa vierhundert Metern. Ich denke nie an meine ersten zwei Kriegsmonate, ohne mich an winterliche Stoppelfelder zu erinnern, deren Ränder mit Kot überkrustet waren.
Zwei Tage vergingen, und immer noch wurden keine Gewehre an uns ausgegeben. Wenn man im Comité de Guerra gewesen war und eine Reihe Löcher in der Wand besichtigt hatte – Einschläge der Gewehrsalven, durch die hier Faschisten erschossen wurden –, hatte man alle Sehenswürdigkeiten gesehen, die es in Alcubierre gab. Draußen an der Front war offensichtlich alles ruhig, nur wenige Verwundete kamen ins Dorf. Die größte Aufregung rief die Ankunft faschistischer Deserteure hervor, die unter Bewachung von der Front gebracht wurden. Viele der Truppen, die uns an diesem Teil der Front gegenüberlagen, waren gar keine Faschisten, sondern nur unglückliche Dienstpflichtige, die gerade in der Armee dienten, als der Krieg ausbrach, und die nun eifrig bemüht waren zu fliehen. Gelegentlich wagten kleine Gruppen, zu unserer Linie hinüberzuschlüpfen. Ohne Zweifel wären noch mehr geflohen, wenn ihre Verwandten nicht auf faschistischem Gebiet gewohnt hätten. Diese Deserteure waren die ersten »richtigen« Faschisten, die ich je zu Gesicht bekam. Es fiel mir auf, daß sie sich in nichts von uns unterschieden, außer daß sie Khaki-Overalls trugen. Wenn sie bei uns ankamen, waren sie immer heißhungrig – eine natürliche Sache, nachdem sie sich ein oder zwei Tage im Niemandsland herumgedrückt hatten. Aber diese Tatsache wurde triumphierend als eine Bestätigung dafür angesehen, daß die faschistischen Truppen Hunger litten. Ich schaute zu, wie einer von ihnen in einem Bauernhaus gefüttert wurde. Es war ein erbarmungswürdiger Anblick. Der große zwanzigjährige Junge, vom Wetter gebräunt und die Kleider in Lumpen, duckte sich vor dem Feuer und schaufelte mit verzweifelter Eile ein Kochgeschirr voll Stew in sich hinein. Während der ganzen Zeit flogen seine Augen nervös im Kreis der Milizsoldaten umher, die dabeistanden und ihn beobachteten. Ich denke, er glaubte wohl immer noch, daß wir blutdürstige »Rote« seien und ihn erschießen würden, sobald er seine Mahlzeit beendet habe. Die bewaffneten Männer, die ihn bewachten, klopften ihm auf die Schulter und versuchten ihn zu beruhigen. An einem denkwürdigen Tag kamen fünfzehn Deserteure in einem einzigen Trupp. Man führte sie im Triumph durch das Dorf, und ein Mann ritt auf einem weißen Pferd vor ihnen her. Es gelang mir, ein ziemlich unscharfes Foto aufzunehmen, daß mir später gestohlen wurde.
Am dritten Morgen unseres Aufenthaltes in Alcubierre kamen die Gewehre an. Ein Sergeant mit plumpem, dunkelgelbem Gesicht verteilte sie im Maultierstall. Ich erschrak vor Entsetzen, als ich sah, was man mir in die Hand drückte. Es war ein deutsches Mausergewehr aus dem Jahre 1896 – mehr als vierzig Jahre alt! Es war rostig, das Schloß klemmte, und der hölzerne Laufschutz war zersplittert. Ein Blick in die Mündung zeigte, daß der Lauf zerfressen und ein hoffnungsloser Fall war. Die meisten der anderen Gewehre waren genauso schlecht, einige sogar noch schlechter, und niemand machte den Versuch, die besten Waffen den Männern zu geben, die damit umzugehen wußten. Das beste Gewehr der Sammlung, nur zehn Jahre alt, gab man einem einfältigen kleinen fünfzehnjährigen Scheusal, von dem jeder wußte, daß er ein maricón
Weitere Kostenlose Bücher