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Mein Katalonien

Titel: Mein Katalonien Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: George Orwell
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springt nicht aus dem Boden. Wenn die Regierung gewartet hätte, bis ausgebildete Truppen zur Verfügung standen, hätte man Franco nie widerstehen können. Später gehörte es zum guten Ton, die Milizen zu beschimpfen. Deshalb tat man so, als ob die Fehler, die auf den Mangel an Ausbildung und Waffen zurückzuführen waren, das Ergebnis des Systems der Gleichheit seien. In Wirklichkeit war eine neu zusammengestellte Milizabteilung nicht etwa deshalb ein undisziplinierter Haufen, weil die Offiziere ihre Soldaten »Kameraden« nannten, sondern weil neue Truppen immer ein undisziplinierter Haufen sind. In der Praxis ist die demokratisch-»revolutionäre« Art der Disziplin zuverlässiger, als man erwarten sollte. Disziplin ist in einer Arbeiterarmee theoretisch freiwillig. Sie basiert auf der Loyalität gegenüber der Klasse, während die Disziplin einer bürgerlichen, wehrpflichtigen Armee letzten Endes auf der Furcht beruht. (Die Volksarmee, die an Stelle der Milizen trat, war ein Mittelding zwischen den beiden Typen.) Drohungen und Beschimpfungen, die in einer normalen Armee üblich sind, hätte in den Milizen niemand auch nur für einen Augenblick ertragen. Es gab die normalen militärischen Strafen, sie wurden aber nur bei sehr schwerwiegenden Vergehen zu Hilfe genommen. Wenn ein Soldat sich weigerte, einen Befehl zu befolgen, war es nicht üblich, ihn sofort bestrafen zu lassen,- zunächst appellierte man im Namen der Kameradschaft an seine Vernunft. Zynische Menschen, die keine Erfahrung im Umgang mit Soldaten haben, werden sofort sagen, daß es so niemals »geht«, aber tatsächlich »geht« es auf die Dauer. Mit der Zeit verbesserte sich die Disziplin selbst der schlimmsten Abteilungen in der Miliz sichtlich. Im Januar bekam ich beinahe graue Haare vor Anstrengung, um ein Dutzend roher Rekruten zu den geforderten Aufgaben anzuhalten. Im Mai befehligte ich für kurze Zeit als diensttuender Leutnant dreißig Mann, Engländer und Spanier. Wir alle hatten monatelang unter Beschuß gelegen, und ich hatte niemals die geringste Schwierigkeit, daß ein Befehl befolgt wurde oder sich die Soldaten freiwillig für eine gefährliche Aufgabe meldeten. »Revolutionäre« Disziplin ist vom politischen Bewußtsein abhängig – von dem Verständnis dafür, warum Befehle befolgt werden müssen. Es dauert einige Zeit, bis sich diese Einsicht verbreitet, aber es dauert auch einige Zeit, einen Mann auf dem Kasernenhof zu einem Automaten zu drillen. Die Journalisten, die das Milizsystem verhöhnten, dachten selten darüber nach, daß die Milizen die Front halten mußten, während die Volksarmee in der Etappe ausgebildet wurde. Es ist ein Beweis für die Stärke der revolutionären Disziplin, daß die Milizen überhaupt draußen aushielten. Denn etwa bis zum Juni 1937 hielt sie nichts an der Front als ihre Klassenloyalität. Einzelne Deserteure konnte man erschießen – sie wurden gelegentlich erschossen –, aber wenn tausend Mann sich entschieden hätten, geschlossen von der Front abzuziehen, gab es keine Macht, sie aufzuhalten. Unter den gleichen Umständen wäre eine wehrpflichtige Armee – nach Entfernung der Feldpolizei – dahingeschmolzen. Aber die Milizen hielten die Front, obwohl sie, weiß Gott, sehr wenig Siege errangen; ja selbst die individuelle Fahnenflucht war nicht alltäglich. Während vier oder fünf Monaten hörte ich in der P.O.U.M.-Miliz nur einmal, daß vier Soldaten desertierten. Zwei von ihnen waren ziemlich wahrscheinlich Spione, die sich hatten anwerben lassen, um Informationen zu erlangen. Anfangs war ich entmutigt und aufgebracht über das offensichtliche Chaos, den allgemeinen Mangel an Ausbildung und die Tatsache, daß man oft fünf Minuten lang argumentieren mußte, ehe ein Befehl befolgt wurde. Meine Ansichten stammten aus der britischen Armee, und sicherlich hatten die spanischen Milizen sehr wenig mit der britischen Armee gemeinsam. Aber in Anbetracht der Umstände waren sie bessere Truppen, als man mit Recht hätte erwarten können.
    Unterdessen: Brennholz – immer Brennholz. Für diese ganze Zeit gibt es wahrscheinlich in meinem Tagebuch keine Eintragung, in der nicht Brennholz erwähnt wird oder, besser gesagt, der Mangel daran. Wir befanden uns sechshundert bis tausend Meter über Meereshöhe, es war mitten im Winter, und die Kälte war unaussprechlich. Die Temperatur war nicht besonders niedrig, während vieler Nächte fror es nicht einmal, und die winterblasse Sonne schien oft mittags

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