Mein Katalonien
abschossen. Ich konnte sehen, wie sich die Faschisten winzig wie Ameisen hinter ihrer Brustwehr hin und her bewegten. Manchmal stand ein schwarzer Punkt, ein Kopf, einen Moment still, unverschämt zur Schau gestellt. Es hatte augenscheinlich keinen Zweck zu schießen. Aber sogleich verließ der Wachtposten zu meiner Linken in typisch spanischer Weise seine Position, kam auf meine Seite und drängte mich zu schießen. Ich versuchte ihm zu erklären, daß man auf diese Entfernung und mit diesen Gewehren einen Mann nur durch einen Zufall treffen könnte. Aber er war eben ein Kind und zeigte weiter mit seinem Gewehr auf einen der Punkte, ungeduldig die Zähne fletschend wie ein Hund, der erwartet, daß man einen Kieselstein wirft. Schließlich stellte ich mein Visier auf siebenhundert Meter ein und feuerte. Der Punkt verschwand. Ich hoffte, der Schuß ging nahe genug, um ihn zum Springen zu bringen. Das war das erste Mal in meinem Leben, daß ich mit einem Gewehr auf ein menschliches Wesen schoß.
Nun, nachdem ich die Front gesehen hatte, war ich gründlich angeekelt. Das nannte man Krieg! Und wir hatten sogar kaum Berührung mit dem Feind! Ich versuchte nicht einmal, meinen Kopf unter dem Rand des Schützengrabens zu halten. Aber eine kurze Weile später schoß eine Kugel mit einem bösartigen Knall an meinem Ohr vorbei und schlug in die Rückenwehr hinter mir ein. Ach! Ich duckte mich. Mein Leben lang hatte ich mir geschworen, mich nicht zu ducken, wenn zum ersten Male eine Kugel über mich hinwegflöge. Aber die Bewegung scheint instinktiv zu sein, und fast jeder tut es mindestens einmal.
DRITTES KAPITEL
Im Schützengrabenkrieg sind fünf Dinge wichtig: Brennholz, Lebensmittel, Tabak, Kerzen und der Feind. Im Winter an der Saragossa-Front waren sie in dieser Reihenfolge wichtig, und der Feind war schlechterdings das letzte. Niemand kümmerte sich um den Feind außer bei Nacht, wenn ein Überraschungsangriff jederzeit denkbar war. Die Gegner waren einfach weit entfernte schwarze Insekten, die man gelegentlich hin und her springen sah. Die eigentliche Hauptbeschäftigung beider Armeen bestand in dem Versuch, sich warm zu halten.
Ich sollte beiläufg sagen, daß ich während meines ganzen Aufenthaltes in Spanien sehr wenig richtige Kämpfe sah. Ich war von Januar bis Mai an der Front in Aragonien, und zwischen Januar und Ende März ereignete sich an dieser Front außer bei Teruel wenig oder gar nichts. Im März kam es zu heftigen Kämpfen in der Nähe von Huesca, aber ich selbst spielte dabei nur eine untergeordnete Rolle. Später im Juni erfolgte der verhängnisvolle Angriff auf Huesca, bei dem einige tausend Mann an einem einzigen Tag getötet wurden. Aber ich war schon verwundet worden und kampfunfähig, ehe dieser Angriff stattfand. Mir selbst stießen nur selten die Dinge zu, die man sich normalerweise als die Schrecken des Krieges vorstellt. Kein Flugzeug ließ je eine Bombe auch nur in meine Nähe fallen. Ich glaube nicht, daß eine Granate je näher als fünfzig Meter von mir entfernt explodierte, und ich geriet nur einmal in einen Kampf Mann gegen Mann (obwohl ich sagen möchte, einmal ist einmal zuviel). Natürlich lag ich oft unter schwerem Maschinengewehrfeuer, aber normalerweise auf große Entfernung. Selbst bei Huesca war man im allgemeinen sicher, wenn man Vernunft und Vorsicht walten ließ.
Hier oben in den Hügeln um Saragossa war es einfach eine Mischung von Langeweile und Unbehagen am Stellungskrieg. Das Leben war so ohne Ereignisse wie bei einem Büroangestellten in der Stadt und fast genauso regelmäßig. Wache schieben, Spähtrupps, graben – graben, Spähtrupps, Wache schieben. Auf jeder Hügelkuppe, ob faschistisch oder loyalistisch, zitterte ein Haufen zerlumpter, schmutziger Männer rund um ihre Fahne und versuchte, sich wann zu halten. Und bei Tag und Nacht wanderten sinnlose Kugeln über die leeren Täler hinweg, und nur durch irgendeinen seltenen, unwahrscheinlichen Zufall fanden sie ihr Ziel in einem menschlichen Körper.
Oft schaute ich über die Winterlandschaft hinweg und wunderte mich über die Nutzlosigkeit des Ganzen. Welche Ergebnislosigkeit einer solchen Art von Krieg! Früher, ungefähr im Oktober, hatte es wilde Kämpfe um alle diese Hügel gegeben. Dann aber wurden aus Mangel an Menschen und Waffen, besonders an Artillerie, großzügige Operationen unmöglich, und jede Armee hatte sich auf den Hügelkuppen eingegraben und festgesetzt, die sie erobert hatte. Rechts
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