Mein Katalonien
von uns war ein kleiner Vorposten, auch von der P.O.U.M. besetzt, und auf dem Vorwerk zu unserer Linken, in der Richtung sieben des Uhrzeigers, eine P.S.U.C.-Stellung, die einem größeren Vorwerk mit verschiedenen kleinen, über den Gipfel verstreuten faschistischen Positionen gegenüberlag. Die sogenannte Kampflinie ging im Zickzack hin und her und formte ein Muster, das unverständlich gewesen wäre, hätte nicht jede Stellung ihre Fahne gezeigt. Die Fahnen der P.O.U.M. und P.S.U.C. waren rot, die der Anarchisten rot und schwarz. Die Faschisten zeigten gewöhnlich die monarchistische Flagge (rotgelbrot), aber gelegentlich führten sie auch die Fahne der Republik (rotgelbpurpurn) 1 .
1 In einer nach Orwells Tod in seinen Papieren gefundenen Druckfehler-Verbesserung steht: »Bin nun nicht ganz sicher, ob ich jemals sah, daß die Faschisten die republikanische Flagge zeigten, obwohl ich glaube, daß sie sie manchmal mit einem kleinen aufgesetzten Hakenkreuz führten.«
Die Szenerie war großartig, wenn man vergessen konnte, daß jeder Berggipfel von Truppen besetzt und deshalb mit Blechbüchsen übersät und von Kot überkrustet war. Rechts von uns bog die Sierra nach Südosten und gab Raum für das weite, gerippte Tal, das sich nach Huesca hinüberzog. In der Mitte der Ebene lagen einige winzige Kuben verstreut wie nach einem Würfelspiel. Das war die Stadt Robres, die in der Hand der Loyalisten war. Morgens war das Tal oft unter Wolkenmeeren versteckt, aus denen die Hügel sich fach und blau erhoben. Sie gaben der Landschaft eine seltsame Ähnlichkeit mit einem fotografschen Negativ. Jenseits von Huesca lagen noch mehrere Hügel von der gleichen Art wie unsere. Sie waren mit einem Schneemuster gestreift, das von Tag zu Tag wechselte. In großer Entfernung schienen die riesigen Gipfel der Pyrenäen, auf denen der Schnee niemals schmilzt, im Nichts zu schweben. Selbst unten in der Ebene sah alles tot und leer aus. Die Hügel uns gegenüber waren grau und runzelig wie die Haut von Elefanten. Der Himmel war fast immer ohne Vögel. Ich glaube kaum, daß ich jemals ein Land gesehen habe, wo es so wenig Vögel gab. Die einzigen Vögel, die man manchmal sah, waren eine Art Elstern und Ketten von Rebhühnern, die uns nachts durch ihr plötzliches Schwirren aufschreckten, sowie sehr selten Adler, die langsam über uns hinwegsegelten, normalerweise verfolgt von Gewehrschüssen, die sie nicht zu bemerken geruhten.
Nachts und bei nebligem Wetter wurden Spähtrupps in das Tal zwischen uns und den Faschisten hinausgesandt. Diese Unternehmungen waren nicht beliebt, es war zu kalt, und man konnte zu leicht umkommen. So fand ich bald heraus, daß ich die Erlaubnis erhielt, auf Spähtrupps zu gehen, sooft ich wollte. In den riesigen zerklüfteten Schluchten gab es keinerlei Pfade oder Wege. Man konnte sich überhaupt nur zurechtfinden, wenn man mehrere aufeinanderfolgende Erkundungen unternahm und sich jedesmal neue Markierungen merkte. In direkter Linie lag der nächste faschistische Posten siebenhundert Meter von unserem eigenen entfernt, aber auf der einzig gangbaren Route betrug die Entfernung zweieinhalb Kilometer. Es war ein ziemlicher Spaß, in den dunklen Tälern herumzustreifen, während verirrte Kugeln hoch über dem Kopf hin- und herflogen und dabei wie Schnepfen pfiffen. Besser als das Dunkel der Nacht war der dichte Nebel, der sich oft den ganzen Tag über hielt und sich um die Hügelkuppen legte, die Täler aber klar ließ. Wenn man nahe an den faschistischen Gräben war, mußte man im Schneckentempo kriechen. Es war sehr schwierig, sich geräuschlos an den Abhängen zwischen knackenden Büschen und klickenden Kalksteinen ohne Geräusch zu bewegen. Erst beim dritten oder vierten Versuch gelang es mir, meinen Weg zu der faschistischen Kampflinie zu finden. Der Nebel war sehr dicht, und ich kroch an den Stacheldraht heran, um zu lauschen. Ich konnte die Faschisten in ihrem Graben sprechen und singen hören. Dann vernahm ich zu meiner Bestürzung, wie einige von ihnen den Hügel herunter auf mich zukamen. Ich duckte mich hinter einen Busch, der plötzlich sehr klein erschien, und versuchte, mein Gewehr ohne Lärm zu spannen. Aber sie bogen ab, und ich sah sie nicht einmal. Hinter dem Busch, wo ich mich verborgen hatte, fand ich verschiedene Spuren früherer Kämpfe: einen Haufen leerer Patronenhülsen, eine Lederkappe, darin das Loch einer Gewehrkugel, und eine rote Fahne, augenscheinlich eine der unseren. Ich nahm sie
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