Mein Katalonien
weder den Faschisten noch uns gehörte. Sowohl wir als auch sie schickten am Tage Spähtrupps dorthin. Das war kein schlechter Spaß, eine Art Pfadfinderübung, obwohl ich niemals einen faschistischen Spähtrupp näher als in einer Entfernung von mehreren hundert Metern sah. Wenn man möglichst viel auf dem Bauch kroch, konnte man sich seinen Weg stellenweise durch die faschistischen Linien bahnen und sogar ein Bauernhaus sehen, auf dem eine monarchistische Fahne flatterte. Es war das örtliche faschistische Hauptquartier. Gelegentlich feuerten wir eine Gewehrsalve darauf ab und schlüpften in Deckung, ehe die Maschinengewehre uns entdecken konnten. Ich hoffe, wir zerbrachen ein paar Fenster, aber es lag gut achthundert Meter weit fort, und bei unseren Gewehren wußte man nicht einmal mit Sicherheit, ob man auf diese Entfernung ein Haus traf.
Das Wetter war meistens klar und kalt. Manchmal mittags sonnig, aber immer kalt. Hier und da fand man im Erdreich des Abhangs grüne Spitzen, wilde Krokusse oder Iris, die ans Licht drängten. Offenbar kam der Frühling, aber er kam sehr langsam. Die Nächte waren kälter denn je. Wenn wir in den frühen Morgenstunden von der Wache zurückkehrten, kratzten wir zusammen, was noch vom Feuer in der Kochstelle übrig war, und stellten uns in die rotglühende Asche. Das war schlecht für unsere Stiefel, aber sehr gut für unsere Füße. An manchem Morgen lohnte der Anblick der Morgendämmerung über den Bergspitzen fast, zu solch gottloser Stunde nicht im Bett zu sein. Ich hasse Berge, selbst wenn sie großartig aussehen. Aber manchmal war es der Mühe wert, den Anbrach des Morgengrauens hinter den Hügelspitzen in unserem Rücken, die ersten schmalen goldenen Strahlen, die wie Schwerter durch die Dunkelheit schnitten, und dann das wachsende Licht und das Meer karmesinfarbener Wolken, die sich in eine unabsehbare Ferne hinaus erstreckten, zu beobachten, selbst wenn man die ganze Nacht aufgewesen war, die Füße von den Knien abwärts kein Gefühl mehr hatten und man mürrisch darüber nachdachte, daß keine Hoffnung bestand, innerhalb der nächsten drei Stunden etwas zu essen zu bekommen. Ich sah die Morgendämmerung in diesem Feldzug öfter als in meinem ganzen übrigen Leben – oder auch während des Teils meines Lebens, der, wie ich hoffe, noch vor mir liegt.
Wir hatten hier nicht genügend Leute, und das bedeutete längere Wachen und mehr Arbeitsdienst. Ich litt ein wenig unter Mangel an Schlaf, das ist aber selbst während der ruhigsten Zeit eines Krieges unvermeidlich. Neben dem Wachdienst und den Spähtrupps gab es dauernd Nachtalarm und Schießbereitschaft. Auf jeden Fall kann man in einem abscheulichen Bodenloch nicht richtig schlafen, wenn die Füße vor Kälte schmerzen. Ich glaube aber nicht, daß ich während meiner ersten drei oder vier Monate an der Front mehr als ein dutzendmal jeweils vierundzwanzig Stunden ohne jeden Schlaf blieb. Andererseits erlebte ich sicher kein Dutzend Nächte mit ununterbrochenem Schlaf. Zwanzig bis dreißig Stunden Schlaf in einer Woche war eine ganz normale Menge. Die Auswirkungen waren nicht so schlecht, wie man vermuten möchte. Man wurde allmählich sehr abgestumpft, und es wurde immer schwieriger statt leichter, die Hügel hinauf- und hinunterzuklettern. Aber man fühlte sich wohl und war immer hungrig – Himmel, wie hungrig! Jedes Essen schien gut, selbst die ewigen Stangenbohnen, deren Anblick schließlich jeder in Spanien hassen lernte. Was wir, wenn überhaupt, an Wasser bekamen, wurde kilometerweit auf dem Rücken von Maultieren oder kleinen, geplagten Eseln herbeigebracht. Aus irgendeinem Grunde behandelten die Bauern in Aragonien ihre Maultiere sehr gut, die Esel aber abscheulich. Wenn ein Esel sich weigerte weiterzugehen, war es durchaus üblich, ihn in die Geschlechtsteile zu treten. Jetzt wurden keine Kerzen mehr ausgegeben, und auch Streichhölzer waren knapp. Die Spanier lehrten uns, wie man Lampen für Olivenöl aus Dosen für kondensierte Milch, einem Patronenrahmen und einem Stückchen Lumpen macht. Wenn man Olivenöl hatte, was nicht oft vorkam, brannten diese Dinger unter rauchigem Flackern ungefähr ein Viertel so hell wie ein Kerzenlicht, aber gerade genug, um bei diesem Licht das Gewehr zu finden.
Es gab anscheinend keine Hoffnung auf richtige Kämpfe. Als wir Monte Pocero verließen, hatte ich meine Patronen gezählt und festgestellt, daß ich während fast drei Wochen nur drei Schüsse auf den Feind abgegeben
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