Mein Katalonien
Malaga die Folge von Verrat war. Damals hörte ich zum erstenmal das Gerede von Verrat oder getrennten Zielen. Das weckte in meinem Gehirn die ersten vagen Zweifel an diesem Krieg, in dem bisher das Richtige und das Falsche auseinanderzuhalten so wundervoll einfach zu sein schien.
Mitte Februar verließen wir Monte Oscuro und wurden zusammen mit allen P.O.U.M.-Truppen dieses Abschnitts der Armee einverleibt, die Huesca belagerte. Das bedeutete eine Reise von achtzig Kilometern auf dem Lastwagen über die winterliche Ebene, wo die beschnittenen Rebstöcke noch nicht ausschlugen und die Halme des Winterroggens gerade durch den bröckligen Boden sprießten. Vier Kilometer vor unseren neuen Schützengräben glitzerte Huesca klein und klar wie eine Stadt von Puppenhäusern. Vor Monaten, nach der Eroberung Sietamos, hatte der General, der die Regierungstruppen befehligte, gut aufgelegt gesagt: »Morgen werden wir in Huesca Kaffee trinken.« Es stellte sich heraus, daß er unrecht hatte. Blutige Angriffe wurden geführt, aber die Stadt fiel nicht, und der Ausspruch »Morgen werden wir in Huesca Kaffee trinken« wurde zu einem ständigen Witz in der ganzen Armee. Wenn ich jemals nach Spanien zurückgehe, werde ich darauf bestehen, eine Tasse Kaffee in Huesca zu trinken.
FÜNFTES KAPITEL
Östlich von Huesca ereignete sich bis spät in den März hinein nichts – fast buchstäblich nichts. Wir lagen zwölfhundert Meter weit vom Gegner entfernt. Als die Faschisten nach Huesca zurückgetrieben wurden, hatten sich die Truppen der republikanischen Armee, die diesen Frontabschnitt hielten, bei ihrem Vormarsch nicht übereifrig gezeigt, und so formte sich die Front hier wie eine Tasche. Später mußte sie vorverlegt werden – sicher unter Beschuß eine heikle Sache –, aber augenblicklich hätte der Feind ebensogut gar nicht vorhanden sein können. Unsere einzige Beschäftigung bestand darin, uns warm zu halten und genug zu essen zu bekommen. Tatsächlich gab es einiges, was mich während dieser Zeit interessierte, und ich werde später davon berichten. Aber ich halte mich wohl enger an den Ablauf der Ereignisse, wenn ich hier zunächst versuche, eine Darstellung der innenpolitischen Situation auf der Regierungsseite zu geben.
Anfangs hatte ich mich wenig um die politische Seite des Krieges gekümmert, aber ungefähr um diese Zeit begann ich meine Aufmerksamkeit auch darauf zu richten. Wer nicht an den Wirrnissen der Parteipolitik interessiert ist, überschlägt am besten die nächsten Seiten. Aus diesem Grund bemühe ich mich auch, die politische Seite dieser Erzählung in getrennten Kapiteln zu halten. Es wäre darüber hinaus ganz unmöglich, nur unter rein militärischen Gesichtspunkten über den spanischen Krieg zu schreiben. Es war nämlich vor allen Dingen ein politischer Krieg. Kein Ereignis, besonders aus den ersten Jahren, ist verständlich ohne eine gewisse Kenntnis von dem Kampf zwischen den Parteien, der sich hinter der Frontlinie der Regierungsseite abspielte. Als ich nach Spanien kam, und auch einige Zeit später, interessierte ich mich nicht nur nicht für die politische Situation, sondern sie kam mir nicht einmal zum Bewußtsein. Ich wußte, daß es Krieg gab, aber ich hatte keine Ahnung, was für eine Art von Krieg das war. Wenn man mich gefragt hätte, warum ich mich der Miliz angeschlossen hatte, so würde ich geantwortet haben: »Um gegen den Faschismus zu kämpfen.« Wenn man mich gefragt hätte, wofür ich kämpfte, würde ich geantwortet haben: »Für allgemeine Anständigkeit.« Ich hatte mich mit der Version von News Chronicle – New Statesman abgefunden, die diesen Krieg als die Verteidigung der Zivilisation gegen den verrückten Aufstand einer Armee von reaktionären Christen vom Typ des Colonel Blimp 1 im Solde Hitlers schilderten.
1 Karikaturgestalt von David Low als Sinnbild des reaktionären Engländers, A.d.Ü.
Die revolutionäre Atmosphäre von Barcelona hatte mich sehr stark gefesselt, aber ich hatte keinen Versuch gemacht, sie zu verstehen. Das Kaleidoskop der politischen Parteien und Gewerkschaften mit ihren langweiligen Namen – P.S.U.C. P.O.U.M. F.A.I. C.N.T. U.G.T. J.C.I. J.S.U. A.I.T. – brachte mich nur in Verzweiflung. Auf den ersten Blick sah es so aus, als leide ganz Spanien an einer Abkürzungspest. Ich wußte, daß die Gruppe, in der ich diente, P.O.U.M. hieß (ich hatte mich der P.O.U.M.-Miliz und keiner anderen nur deshalb angeschlossen, weil ich in Barcelona
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