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Mein Katalonien

Titel: Mein Katalonien Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: George Orwell
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hatte ich mir selbst das Versprechen gegeben, einen Faschisten zu töten. Wenn schließlich jeder von uns einen tötete, würden sie bald ausgerottet sein. Aber bisher hatte ich noch niemanden getötet, und es gab kaum eine Chance dazu. Außerdem wollte ich natürlich nach Madrid gehen. Jeder in der Armee, wie auch seine politischen Ansichten lauten mochten, wollte nach Madrid gehen. Das bedeutete für mich wahrscheinlich einen Wechsel zur Internationalen Brigade. Denn die P.O.U.M. hatte jetzt nur wenig Truppen bei Madrid, und auch die Anarchisten hatten nicht mehr soviel wie früher.
    Im Augenblick mußte man natürlich an der Front bleiben, aber ich sagte jedem, daß ich beim nächsten Urlaub nach Möglichkeit zur Internationalen Brigade überwechseln würde. Das hieß, ich mußte mich unter kommunistische Kontrolle stellen. Verschiedene Leute versuchten, mir diesen Gedanken auszureden, aber niemand versuchte, sich in meine persönlichen Angelegenheiten einzumischen. Man muß fairerweise zugeben, daß es in der P.O.U.M. sehr wenig Gewissenszwang gab, vielleicht nicht genug, wenn man sich der besonderen Umstände erinnert. Wenn nicht jemand gerade profaschistisch war, wurde er nicht zur Rechenschaft gezogen, falls er die falschen politischen Ansichten hatte. Ich verbrachte einen Teil meiner Zeit in der Miliz damit, die Ansichten der P.O.U.M. heftig zu kritisieren, aber ich hatte deshalb niemals Schwierigkeiten. Man übte nicht einmal einen Druck auf jemand aus, politisches Mitglied der Partei zu werden, obwohl ich glaube, daß die Mehrheit der Milizsoldaten ihr beitrat. Ich selbst wurde nie Mitglied der Partei, was ich hinterher, als die P.O.U.M. unterdrückt wurde, sehr bedauerte.

 
SECHSTES KAPITEL
     
    Während der ganzen Zeit absolvierten wir unsere tägliche, genauer gesagt, nächtliche Runde. Es war die übliche Beschäftigung: Wache schieben, Spähtrupps unternehmen, Schützengräben ausheben und dazu Schlamm, Regen, heulende Winde und gelegentlich Schnee. Erst spät im April wurden die Nächte spürbar wärmer. Hier auf der Hochebene waren die Märztage größtenteils wie ein englischer März, mit strahlend blauem Himmel und ständigem Wind. Die Wintergerste stand dreißig Zentimeter hoch, auf den Kirschbäumen bildeten sich rosa Knospen, denn die Front verlief hier durch verlassene Obstgärten und Gemüsegärten. Wenn man in den Wassergräben suchte, konnte man Veilchen und eine Art wilder Hyazinthen finden, die wie eine bescheidene Abart der Sternhyazinthe aussahen. Unmittelbar hinter der Front floß ein wunderschöner grüner, schäumender Bach, es war das erste klare Wasser, das ich seit meiner Ankunft an der Front gesehen hatte. Eines Tages biß ich die Zähne zusammen und schlüpfte in den Fluß, um mein erstes Bad nach sechs Wochen zu nehmen. Es war allerdings ein kurzes Bad, denn das Wasser war vor allem Schneewasser und nur wenig über dem Gefrierpunkt.
    Während dieser Zeit ereignete sich nichts, es ereignete sich überhaupt nie etwas. Die Engländer pflegten zu sagen, dies sei kein Krieg, sondern eine verdammte Pantomime. Wir lagen nur selten unter dem direkten Beschuß der Faschisten. Die einzige Gefahr drohte durch verirrte Kugeln, die aus verschiedenen Richtungen kamen, da die Front sich auf beiden Seiten nach vorne ausbuchtete. Die Verluste wurden zu dieser Zeit nur von Irrläufern verursacht. Arthur Clinton wurde von einer geheimnisvollen Kugel getroffen, die seine linke Schulter zerschmetterte und seinen Arm, wie ich befürchtete, für immer unbrauchbar machte. Wir hatten gelegentlich Artilleriebeschuß, aber er war außergewöhnlich unwirksam. Das Heulen und Krachen der Granaten galt in Wirklichkeit als eine milde Ablenkung. Die Faschisten feuerten ihre Granaten nie auf unsere Brustwehr. Einige hundert Meter hinter uns stand ein Landhaus, La Granja genannt. Seine großen landwirtschaftlichen Gebäude dienten als Lager, Hauptquartier und Küche für diesen Frontabschnitt. Die faschistischen Artillerieschützen zielten auf diese Gebäude. Aber sie lagen fünf oder sechs Kilometer weit weg und zielten nie genau genug, um mehr als die Fenster zu zerschmettern oder die Wände anzukratzen. Man war nur dann in Gefahr, wenn man gerade die Straße hinaufkam, wenn der Beschuß anfing und die Granaten auf beiden Seiten in die Felder schlugen. Man lernte beinahe am ersten Tag die geheimnisvolle Kunst, aus dem Pfeifen der Granaten zu erkennen, wie nah sie einschlagen würden. Die Granaten, die die

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