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Mein Katalonien

Titel: Mein Katalonien Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: George Orwell
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halber Berghöhe in einer Felsspalte, versuche mein Gleichgewicht zu halten und die Wurzel eines wilden Rosmarinbusches aus der Erde zu zerren. Hoch über meinem Kopf pfeifen einige sinnlose Kugeln.
    Ich liege zusammen mit Kopp und Bob Edwards und drei Spaniern versteckt unter den kleinen Tannenbäumen auf dem fachen Gelände westlich von Monte Oscuro. Eine Gruppe Faschisten klettert wie Ameisen den kahlen, grauen Hügel auf unserer Rechten hinauf. Nicht weit von uns ertönt ein Hornsignal von den faschistischen Linien. Kopp schaut mich an und zeigt wie ein Schuljunge mit seiner Nase in die Richtung des Klanges.
    Ich stehe in dem schmutzigen Hof bei La Granja, mitten unter dem Haufen Männer, die sich mit ihren Blechkochgeschirren um den großen Kessel mit Stew drängen. Der fette und geplagte Koch scheucht sie mit seiner Kelle fort. An einem Tisch in der Nähe steht ein bärtiger Mann mit einer gewaltigen automatischen Pistole an seinem Koppel und hackt Brotlaibe in fünf Stücke. Hinter mir singt eine Cockney-Stimme (es ist Bill Chambers, mit dem ich mich erbittert stritt und der später vor Huesca getötet wurde):
    Wir haben Ratten, Ratten
    in Kammern und Kasematten,
    Ratten so groß wie Katzen!
    Eine Granate zischt herüber. Fünfzehnjährige Kinder werfen sich auf ihr Gesicht. Der Koch duckt sich hinter dem Kochkessel. Als die Granate etwa hundert Meter weiter niedergeht und zerknallt, stehen sie alle mit einem einfältigen Ausdruck wieder auf.
    Ich gehe die Reihe der Wachtposten unter den dunklen Zweigen der Pappeln auf und ab. In dem überfuteten Graben vor der Stellung paddeln die Ratten und machen einen Lärm wie Ottern. Wenn die gelbe Morgendämmerung hinter uns hochzieht, beginnt der andalusische Wachtposten, der sich in seinen Mantel eingehüllt hat, zu singen. Hundert oder zweihundert Meter über das Niemandsland hinweg kann man auch den faschistischen Wachtposten singen hören. Nach den üblichen ›mañanas‹ löste uns am 27. April eine andere Abteilung ab, und wir übergaben ihr unsere Gewehre, packten unsere Tornister und marschierten nach Monforite zurück. Es tat mir nicht leid, die Front zu verlassen. Die Läuse vermehrten sich viel schneller in meiner Hose, als ich sie abschlachten konnte, und seit einem Monat hatte ich keine Socken mehr. Von den Sohlen meiner Stiefel war so wenig übriggeblieben, daß ich mehr oder minder barfuß marschierte. Ich wünschte mir ein heißes Bad, saubere Kleidung und eine Nacht zwischen Bettüchern leidenschaftlicher, als man sich irgend etwas wünschen kann, wenn man ein normales zivilisiertes Leben führt. Wir schliefen einige Stunden in einer Scheune in Monforite, sprangen in den frühen Morgenstunden auf einen Lastwagen, erreichten den Fünfuhrzug in Barbastro und – da wir Glück hatten und einen Eilzug in Lerida erwischten – waren am Sechsundzwanzigsten um drei Uhr nachmittags in Barcelona. Danach aber begann der Kummer.

 
NEUNTES KAPITEL
     
    Von Mandalai im oberen Burma kann man mit der Eisenbahn nach Maimio, der bedeutendsten Bergstation der Provinz am Ende des Shan-Plateaus, reisen. Es ist ein ziemlich eigenartiges Erlebnis. Man beginnt die Reise in der typischen Atmosphäre einer Stadt des Ostens – dem sengenden Sonnenlicht, den staubigen Palmen, dem Geruch von Fischen, Gewürzen und Knoblauch, den breiigen tropischen Früchten und dem Schwarm dunkelhäutiger, menschlicher Wesen. Weil man so daran gewöhnt ist, trägt man diese Atmosphäre mit, wenn man in den Eisenbahnwagen einsteigt. Wenn der Zug in Maimio zwölfhundert Meter über dem Meeresspiegel hält, ist man im Geiste immer noch in Mandalai. Aber wenn man aus dem Waggon aussteigt, tritt man in eine völlig andere Hemisphäre. Plötzlich atmet man eine kühle, süße Luft wie in England, und rundherum wachsen grünes Gras, Farnkraut und Tannenbäume, und die rotwangigen Frauen des Hügellandes verkaufen Körbe mit Erdbeeren.
    Ich wurde daran erinnert, als ich nach dreieinhalb Monaten von der Front nach Barcelona zurückkam. Hier erlebte ich den gleichen jähen und erschreckenden Wechsel der Atmosphäre. Auf dem ganzen Weg nach Barcelona herrschte im Zug die Atmosphäre der Front: der Schmutz, der Lärm, die Unbequemlichkeiten, die zerlumpte Kleidung, das Gefühl der Entbehrung, der Kameradschaft und der Gleichheit. Immer mehr Bauern stiegen an jeder Station der Eisenbahnlinie in den Zug, der schon beim Verlassen von Barbastro voller Miliz-Soldaten war. Die Bauern brachten Bündel Gemüse,

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