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Mein Katalonien

Titel: Mein Katalonien Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: George Orwell
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verängstigtes Geflügel, das sie mit dem Kopf nach unten trugen, und Säcke, die sich am Boden hin und her wanden und in denen ich lebendige Kaninchen entdeckte. Zum Schluß wurde noch eine ziemlich große Schafherde in die Abteile getrieben und in jede freie Ecke gequetscht. Die Milizsoldaten schrien Revolutionslieder, die das Rattern des Zuges übertönten. Jedem hübschen Mädchen längs der Bahnlinie warfen sie Kußhände zu oder winkten ihm mit ihren roten und schwarzen Taschentüchern. Flaschen mit Wein und Anis, dem schmutzigen aragonischen Schnaps, wanderten von Hand zu Hand. Mit einer spanischen Wasserflasche aus Ziegenhaut läßt sich ein Schuß Wein quer durch einen Eisenbahnwaggon in den Mund eines Freundes spritzen, so erspart man sich große Umstände. Neben mir erzählte ein schwarzäugiger fünfzehnjähriger Junge sensationelle und zweifellos völlig unwahre Geschichten von seinen Heldentaten an der Front. Er erzählte sie zwei alten Bauern mit lederartigen Gesichtern, die ihm mit offenem Mund zuhörten. Bald öffneten die Bauern ihre Bündel und gaben uns etwas klebrigen dunkelroten Wein. Jeder war völlig glücklich, glücklicher, als ich es beschreiben kann. Aber als der Zug durch Sabadell gerollt war und Barcelona erreichte, schritten wir in eine Atmosphäre, die uns und unseresgleichen gegenüber kaum fremder und feindseliger sein konnte, als wenn es Paris oder London gewesen wäre.
    Jeder, der während des Krieges im Abstand von einigen Monaten Barcelona zweimal besuchte, hat sich zu dem außerordentlichen Wechsel geäußert, der in dieser Zeit stattfand. Ob jemand zuerst im August und dann im Januar hingekommen war oder, wie ich selbst, zuerst im Dezember und dann wieder im April, er sagte merkwürdigerweise immer das gleiche: Die Atmosphäre der Revolution war verschwunden. Zweifellos sah für jeden, der im August dagewesen war, als das Blut in den Straßen kaum getrocknet und die Miliz in den feinen Hotels einquartiert war, Barcelona im Dezember bürgerlich aus. Für mich glich es, als ich gerade frisch aus England kam, eher einer Arbeiterstadt als irgend etwas sonst, was ich mir vorgestellt hatte. Aber jetzt war die Flut zurückgerollt.
    Es war wieder eine gewöhnliche Stadt, ein wenig vorn Krieg gezwickt und zerstört, aber sonst ohne ein äußeres Zeichen der Vorherrschaft der Arbeiterklasse.
    Der Wechsel im Aussehen der Menge war überraschend. Die Milizuniform und die blauen Overalls waren fast verschwunden. Jeder schien einen schmucken Sommeranzug zu tragen, auf den sich die spanischen Schneider spezialisiert haben. Überall gab es fette, wohlhabende Männer, elegante Frauen und rassige Autos. (Es schien so, als gäbe es noch keine Privatwagen. Aber trotzdem schien jeder, der »etwas« war, über ein Auto zu verfügen.) Die Offiziere der neuen Volksarmee, ein Typ, der kaum existierte, als ich Barcelona verließ, zeigten sich in überraschender Anzahl. In der Volksarmee gab es auf je zehn Mann einen Offizier. Eine gewisse Anzahl dieser Offiziere hatte in der Miliz gedient und war zur technischen Unterweisung aus der Front gezogen worden. Aber die meisten von ihnen waren junge Leute, die die Kriegsschule besucht hatten, statt in die Miliz einzutreten. Ihr Verhältnis zu den Soldaten war nicht genau das gleiche wie in einer Bourgeoisarmee. Aber in der Volksarmee gab es entschiedene soziale Unterschiede, die sich im Unterschied der Bezahlung und der Uniform ausdrückten. Die Soldaten trugen eine Art grober, brauner Overalls, die Offiziere trugen eine elegante Khakiuniform mit enger Taille. Sie sahen ungefähr wie die Uniformen der britischen Armeeoffiziere aus, nur noch übertriebener. Ich glaube nicht, daß mehr als einer von zwanzig schon an der Front gewesen war. Aber sie alle trugen automatische Pistolen, die sie an ihr Koppel geschnallt hatten, während wir an der Front weder für Geld noch für gute Worte eine Pistole bekommen konnten. Als wir die Straße hinaufgingen, bemerkte ich, wie die Leute uns wegen unseres schmutzigen Aussehens anstarrten. Natürlich boten wir, wie alle Männer, die einige Monate in der vordersten Stellung gelegen haben, einen scheußlichen Anblick. Ich wußte, daß ich wie eine Vogelscheuche aussah. Meine Lederjacke war ganz zerfetzt, meine wollene Mütze hatte ihre Form verloren und glitt dauernd über eines meiner Augen. Meine Stiefel bestanden fast nur noch aus dem auswärtsgebogenen Oberteil. Wir alle befanden uns mehr oder weniger im gleichen Zustand,

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