Mein Katalonien
der Sonne geschunden worden waren; dann unsere lausigen Kleider und Stiefel, die buchstäblich in Fetzen auseinanderfielen, und das Ringen mit den Maultieren, die unsere Rationen brachten. Das Gewehrfeuer störte sie zwar nicht, aber sie füchteten, wenn ein Schrapnell in der Luft zerbarst. Und die Moskitos (die gerade lebendig wurden) und die Ratten, die ein öffentliches Ärgernis waren und selbst Lederriemen und Patronentaschen verschlangen. Außer einer gelegentlichen Verwundung durch die Kugel eines Scharfschützen, den sporadischen Artilleriebeschuß und die Luftangriffe auf Huesca ereignete sich nichts. Nachdem die Bäume jetzt voller Laub waren, hatten wir Anstände für Scharfschützen, ähnlich den Machans 1 , in den Pappeln entlang unserer Front errichtet. Auf der anderen Seite von Huesca ließen die Angriffe nach. Die Anarchisten hatten schwere Verluste erlitten, und es war ihnen noch nicht gelungen, die Straße nach Jaca vollständig abzuschneiden. Sie hatten sich auf beiden Seiten so nahe an die Straße heranzuschieben vermocht, daß sie diese unter Maschinengewehrfeuer halten und für den Verkehr unpassierbar machen konnten. Aber die Lücke war einen Kilometer breit, und die Faschisten hatten eine Grabenstraße konstruiert, eine Art riesigen Schützengraben, durch die eine gewisse Anzahl Lastwagen kommen und gehen konnte. Deserteure berichteten, daß es in Huesca viel Munition und wenig Lebensmittel gebe. Aber die Stadt fiel offensichtlich nicht. Wahrscheinlich wäre es unmöglich gewesen, sie mit den zur Verfügung stehenden fünfzehntausend schlecht bewaffneten Soldaten zu nehmen. Später im Juni brachte die Regierung Truppen von der Front um Madrid und konzentrierte dreißigtausend Mann und eine riesige Zahl Flugzeuge auf Huesca, aber die Stadt fiel immer noch nicht.
Als wir auf Urlaub gingen, war ich hundertfünfzehn Tage an der Front gewesen, und damals schien dieser Zeitraum einer der nutzlosesten meines ganzen Lebens gewesen zu sein. Ich war in die Miliz eingetreten, um gegen den Faschismus zu kämpfen. Ich hatte jedoch kaum gekämpft, sondern nur wie ein passives Objekt existiert. Ich tat nichts als Gegenleistung für meine Rationen, außer daß ich unter der Kälte und dem Mangel an Schlaf litt. Das ist aber vielleicht in den meisten Kriegen das Schicksal der Mehrzahl der Soldaten. Wenn ich jedoch heute diese ganze Zeit rückblickend betrachte, bedauere ich sie nicht vollständig. Ich wünsche allerdings, ich hätte der spanischen Regierung etwas wirkungsvoller dienen können. Aber von meinem persönlichen Gesichtspunkt, das heißt von dem Gesichtspunkt meiner persönlichen Entwicklung her gesehen, waren die ersten drei oder vier Monate, die ich an der Front verbrachte, weniger nutzlos, als ich dachte. Sie waren eine Art Interregnum in meinem Leben, völlig unterschieden von allem, was vorausgegangen war und was vielleicht auch noch kommen sollte. Diese Zeit lehrte mich Dinge, die ich auf keine andere Weise hätte lernen können.
Der wesentlichste Punkt bestand darin, daß ich während dieser ganzen Zeit isoliert war – denn an der Front war man fast vollständig von der Außenwelt abgeschnitten: selbst von dem, was sich in Barcelona ereignete, hatte man nur eine verschwommene Vorstellung, und das unter Leuten, die man etwas verallgemeinert und doch nicht zu ungenau als Revolutionäre bezeichnen konnte. Das war das Ergebnis des Milizsystems, das vor 1937 an der aragonischen Front nicht grundlegend geändert wurde. Die Arbeitermiliz, die auf den Gewerkschaften aufbaute und sich aus Leuten von ungefähr der gleichen politischen Meinung zusammensetzte, bewirkte, daß an einer Stelle die intensivsten revolutionären Gefühle des ganzen Landes zusammenkamen. Ich war mehr oder weniger durch Zufall in die einzige Gemeinschaft von nennenswerter Größe in Westeuropa gekommen, wo politisches Bewußtsein und Zweifel am Kapitalismus normaler waren als das Gegenteil. Hier in Aragonien lebte man unter Zehntausenden von Menschen, die hauptsächlich, wenn auch nicht vollständig, aus der Arbeiterklasse stammten. Sie lebten alle auf dem gleichen Niveau unter den Bedingungen der Gleichheit. Theoretisch herrschte vollkommene Gleichheit, und selbst in der Praxis war man nicht weit davon entfernt. In gewisser Weise ließe sich wahrhaftig sagen, daß man hier einen Vorgeschmack des Sozialismus erlebte. Damit meine ich, daß die geistige Atmosphäre des Sozialismus vorherrschte. Viele normale Motive des
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